Die Philosophie in Harold Pinters Frühwerk
Authors
More about the book
Die Figuren in Harold Pinters Dramen sind für ihre Unberechenbarkeit bekannt. Bis zu einem gewissen Punkt verhalten sie sich rational, doch dann schlagen sie plötzlich Haken, die jeder Rationalität widersprechen. Sie scheinen in einen Kampf aller gegen alle verwickelt zu sein, der zuweilen sogar in Mord auf offener Bühne ausartet. Dies brachte den Stücken den Ruf ein, sie seien 'comedies of menace'. Pintersche Figuren bewegen sich offenbar in einem speziell pinteresken Kosmos, in dem ganz eigene Gesetze gelten. Kein Wunder, dass bei dieser schwierigen Ausgangslage die bisherigen Erklärungsversuche wenig überzeugend wirken. Schon von Anfang an hegte Horst G. Oeder den Verdacht, dass in der Pinterschen Dramenwelt keine realistischen Figuren agieren, eine Vermutung, deren Richtigkeit sich im Laufe seiner langjährigen, intensiven Forschungsarbeit Punkt für Punkt bestätigte. Nicht realistische Stücke verfasste Pinter also, sondern Allegorien, in denen personifizierte philosophische Begriffe miteinander streiten. Überraschenderweise greift er dabei nicht Theoreme irgendeines modernen Philosophen auf, sondern Gedanken Platons, des Vaters der abendländischen Philosophie. Insbesondere dessen Seelenlehre hat es ihm angetan, so wie sie uns durch Marsilio Ficino, den bekanntesten Philosophen der italienischen Renaissance, überliefert wurde. Die Untersuchung beschränkt sich auf vier relevante Stücke des Frühwerks (The Room, The Birthday Party, The Caretaker und The Homecoming), in denen das ficinische Hauptanliegen, die platonische Seelenlehre, thematisiert wird: Durch die Geburt fällt die Seele aus der göttlichen Einheit in die Vielheit der Welt, wodurch sie verschmutzt wird. Doch sie erinnert sich lebenslang an ihre göttliche Herkunft und empfindet daher das Verlangen, zu Gott zurückzukehren. Voraussetzung ihrer Wiedervereinigung mit dem göttlichen Vater ist allerdings ein Reinigungsprozess, der durch den Intellekt oder die Liebe zustande gebracht wird. Während Pinter in den ersten beiden Stücken diese christlich- neuplatonische Hoffnung noch teilt, schwindet sie im dritten und schlägt im vierten Drama in das genaue Gegenteil um.