Binge drinking als soziale Inszenierung
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Alkoholkonsum ist nicht nur fester Bestandteil westlicher Kultur, mit ihm zusammen etabliert hat sich auch ein kompliziertes und sich häufig wandelndes soziokulturelles Regelwerk, das darüber bestimmt, wann, von wem, wie und vor allem wie viel getrunken wird. Werden diese Regeln gebrochen, finden wir Exzesse – wiederum mit eigenem Regelwerk –, die im englischen Sprachraum binge drinking genannt werden. In Großbritannien fand die Debatte um ein solches Trinkverhalten 2004 mit den Interventionsmaßnahmen der Regierung ihren Höhepunkt, in Deutschland wurde exzessiver Alkoholkonsum durch kürzliche Todesfälle Jugendlicher zum Thema. War Alkoholkonsum lange etwas, womit Männlichkeit dargestellt werden konnte, so scheinen nun auch Mädchen und Frauen sich vermehrt an dieser sozialen Praxis zu beteiligen. Dass Geschlecht dabei keine irrelevante Größe ist, zeigt sich in der gesellschaftlich unterschiedlichen Wahrnehmung von männlichem und weiblichem Alkoholkonsum. Letzterer erscheint angesichts traditionell männlicher Trinkkulturen als Ausdruck sich wandelnder Normen und wird demnach oft anders – meist kritischer – bewertet. Dies wirft eine Reihe von Fragen auf: Welche sozialen Bedeutungen stecken hinter exzessivem Alkoholkonsum? Welchen Nutzen hat binge drinking für die (vergeschlechtlichten) Identitätskonstruktionen der AkteurInnen? Welche Selbstdarstellungen können inszeniert werden, wenn an der sozialen Interaktion des Sich-Betrinkens teilgenommen wird? Diesen Fragen geht Maren Haag in ihrer empirischen Untersuchung in Großbritannien nach. Dabei kommen die AkteurInnen mit ihren Sichtweisen in Gruppendiskussionen selbst zu Wort. Bewusst liefert die Autorin keine Handlungsanweisungen, die ein solches Verhalten unterbinden könnten. Vielmehr geht es ihr darum, die Ambivalenzen und damit zusammenhängenden Verleugnungspraktiken, die das Thema binge drinking umgeben, zu entschlüsseln. Geht es um exzessiven Alkoholkonsum, sind Frauen und Männer gezwungen, sich zwischen einem Streben nach Individualität und sozialen Normen und Strukturen, zwischen Modernität und traditionell erlernten Werten zu verorten. Häufig werden dafür Aspekte der eigenen Identität und Handlungsweisen verleugnet oder dem sozialen Kontext angepasst. In besonderem Maße ist weibliches Trinken von Ambivalenz gekennzeichnet. Es drängt sich die Frage auf, ob Frauen trinkend eine neue weibliche Identität entwerfen oder sie sich schlicht an männlichen Normen orientieren.