Lehrerhandeln wahrnehmen, erfassen, bewerten
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Noch immer wissen wir viel zu wenig über Unterricht, doch der Leidensdruck ist seit den großen internationalen Vergleichsstudien TIMSS und PISA unvermindert hoch. Die Diskussion um Schülerleistungen und Schulqualität kann nicht ohne eine breite, auch qualitativ aussagekräftige Erforschung des Faktors „Unterricht“ geführt werden. Da historische wie aktuelle Ansätze der Unterrichtsbeobachtung bislang aber (neben wenigen handlungstheoretischen Strukturierungen) lediglich eine eklektische Summe von empirischen Einzelbefunden hervorgebracht haben, müssen – wie Weinert im Jahr 2000 formulierte – „neue wissenschaftliche Horizonte“ erschlossen werden, die „theorieorientierte Forschung und praxisgeleitete Studien“ miteinander verbinden. Die vorliegende Arbeit will dieser Aufforderung folgen. In ihrem Zentrum steht das Systemmodell zur Wahrnehmung, Beurteilung und Gestaltung des „Lehrerhandelns im Unterricht“ (Sehringer & Scheltwort, 2004), mit dem ein Begriffssystem entwickelt wurde, das geeignet ist, den Blick auf Unterricht zu schärfen und Handlungen in ihrer didaktischen Relevanz erkennbar zu machen. Um die wissenschaftliche Bedeutung und Tragweite dieses Modells als neuartige Konzeption zu analysieren, wird im ersten Teil der Arbeit der theoretische Bezugsrahmen der Unterrichtsbeobachtung entworfen. Dazu werden die Kontextbedingungen von Unterrichts-beobachtung, wie sie sich in forschungspolitischer Hinsicht, aber auch in historischen und aktuellen wissenschaftlichen Ansätzen, in empirischen Forschungsbefunden sowie in forschungsmethodischen Fragen ausdrücken, erschlossen. Im zweiten Teil der Arbeit werden die Befunde der theoretischen Analyse auf das Systemmodell „Lehrerhandeln im Unterricht“ übertragen. Eine empirische Überprüfung der Konstruktvalidität des Modells anhand von Unterrichtsaufzeichnungen, die – neben detaillierten Anmerkungen zu den Entfaltungen des Modells – persönliche Lehrstile zu Tage führt und individuelle Verhaltensrepertoires offen legt, schließt die Analyse ab. Die Lehrstile ergänzen sich in der vorliegenden Untersuchung zu deutlich voneinander unterscheidbaren geschlechtsspezifischen Profilen. Insgesamt kann das Modell „Lehrerhandeln im Unterricht“ als ein Instrument für praxisorientierte, theoriegeleitete empirische Unterrichtsbeobachtungen gelten, das sowohl Vielfalt erkundet als auch didaktische Verwurzelung erlaubt. Der Komplexität des Untersuchungsgegenstandes wird ebenso Rechnung getragen wie den Messproblemen, die die Komplexität von Unterricht notwendigerweise und unausweichlich mit sich bringt. Wissenschaftstheoretisch stellt das Systemmodell eine Ausnahme dar, denn in keinem anderen Ansatz der Unterrichtsforschung zuvor wurden Pfade zwischen normativen Qualitätsvorstellungen und beobachtbaren Handlungen so konsequent angelegt und verfolgt. Damit setzt das Modell einen weitreichenden, konstruktiven Akzent in der Begegnung von wertneutralen, kritisch rationalen und normativen, hermeneutischen Positionen. Der Einsatz von Videotechnik zur Dokumentation von Unterricht stellt dabei einen großen Gewinn sowohl für die Unterrichtsforschung als auch für die Unterrichtsbeurteilung dar. Abschließend wird dem Leser das Beobachtungsinstrument in einer Kurzfassung als handliches Instrument zur Reflexion von Unterricht vorgestellt.