Erinnerungen eines Vertriebenen an Weberstedt nach dem Krieg
Authors
More about the book
Autor: JOHANNES SIEGERT, Taschenbuch, 50 Seiten mit 20 Fotos und Abbildungen. Johannes Siegert, damals 12 und heute 80 lebt nun in Göttingen. Auch wenn er nur kurze Zeit in Weberstedt weilte gibt er einen tiefen Einblick in das Leben einer Umsiedlerfamilie in einem Thüringer Dorf. Wie es Tausende in ähnliche Weise erlebten. Nachkriegserinnerungen, subjektiv allemal. Das Buch beginnt mit der Ankunft auf dem Bahnhof in Schönstedt: „Ein Tag Anfang September 1945. In Schönstedt, Kreis Langensalza in Thüringen, hält ein Güterzug, ein Güterzug mit geschlossenen Waggons. Der Zugbegleiter mit seiner Liste kommt auf unseren Waggon zu und ruft die Namen: Siegert, Wolfgang, Mittelbach, Tetzner. Große Aufregung entsteht in unserer „Großfamilie“. Unser voll bepackter Handwagen wird entladen. Denn er ist schon leer ein schweres, noch dazu unhandliches Gefährt, und es ist für alle sechs Beteiligten ein hartes Stück Arbeit, so wie schon beim Einladen in der Heimatstadt Görkau, den Handwagen aus dem Eisenbahnwaggon zu hieven. – – – Geschafft! Auf der Abbildung 2 sieht man in der linken unteren Ecke diesen Handwagen, ein wahres Prachtstück von Handwagen!“ Viele kleine Episoden finden wir im Buch: „Im Herbst des Jahres 1944 wurde der Schulbetrieb (in Görkau) ganz eingestellt. Ein Jahr lang war die Schule also ausgefallen. Konkret: Mir fehlte die 6. Klasse. Normalerweise wirkt sich das auf die schulische und geistige Entwicklung in diesem Alter recht ungünstig aus. Ich habe das Defizit erfreulicherweise gut verkraftet, noch dazu, da ich jetzt in Weberstedt in eine Schulklasse kam, in der mehrere Jahrgänge vereint waren. Wie das halt in kleinen Dorfschulen bis Kriegsende und auch noch danach die Regel war. Die Volksschule befand sich gegenüber der Kirche und wurde betreut von Oberlehrer Kramer, der zugleich Kantor war, auch diese Personalunion ging auf eine lange Tradition zurück. Herr Kramer kam aus dem Hainich und schwärmte von dieser Landschaft. Er war eine Seele von Mensch, streng und menschlich zugleich. Am Nachmittag mussten die Kinder im Schulgarten arbeiten, wie das seit eh und je so üblich war. Die Erträge – Gemüse, Obst und Kartoffeln sowie Futter für die Hühner, Gänse und Kaninchen – waren natürlich für die Lehrerfamilie bestimmt. Das war ganz normal.“ Über die Wohnsituation der Familie in Weberstedt und seinen weiteren Lebensweg schreibt der Autor: „Wir wurden im alten Dorf bei einem Häusler in einem kleinen, finsteren, feuchten Loch untergebracht. Mit einem besseren Wort ließ sich diese Unterkunft nicht bezeichnen. Die Veränderung war, modern ausgedrückt, ein gewaltiger sozialer Abstieg. Meine Mutter wurde fast täglich bei der Gemeindeverwaltung vorstellig und forderte für uns ein menschenwürdiges Wohnen, was ihr auch gelang. Wir durften in ein relativ neues Wohnhaus, das am Ortsrand lag, umziehen und bewohnten dort ein hübsches, helles, ausreichend großes Zimmer. Ich selbst war von den beiden Unterkünften weniger betroffen als meine Mutter, da ich ja die meiste Zeit in Gotha weilte. Nach Abschluss der 9. Klasse verließ ich die Schule, verließ ich Gotha, verließ ich Weberstedt, verließ ich die SBZ und setzte mich in den Westen ab. Meine Mutter folgte später nach. So weit die Erinnerungen eines Achtzigjährigen an seine Kindheit beziehungsweise Jugend mit zwölf Jahren, als er in Thüringen ein neues Leben begann.“