Keine Polen? Bewusstseinsprozesse und Partizipationsstrategien unter Ruhrpolen zwischen der Reichsgründung und den Anfängen der Weimarer Republik
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Zwischen Reichsgründung und dem Ersten Weltkrieg kamen weit über eine halbe Million polnischsprachiger Zuwanderer aus den preußischen Ostprovinzen in das rheinischwestfälische Industriegebiet. Deren lokale, regionale und religiöse Prägungen wirkten sich über Jahrzehnte auf ihr alltägliches, gesellschaftliches, berufliches und kirchliches Leben in der Zielregion aus. Unter der Einwirkung der mitnichten heterogenen deutschen Umgebung, kirchlicher Kreise und polnischer nationaler Aktivisten sowie der vor allem von den Behörden ausgehenden allgemeinen Diskriminierungserfahrungen entwickelte sich die unter dem Begriff Ruhrpolen zusammengefasste Gruppe sehr unterschiedlich und keineswegs generell in Richtung eines polnischen Nationalbewusstseins. Während sich die einen integrierten oder assimilierten, wurden die anderen zu überzeugten Polen und schlossen sich der polnischen Nationalbewegung an – dazwischen gab es zahlreiche Schattierungen. Denn die Bewusstseinsprozesse und Partizipationsstrategien unter den „Ruhrpolen" waren in diesen Jahrzehnten durch zahlreiche Brüche, Ambivalenzen und Wahlmöglichkeiten der Zugehörigkeit zu Wir-Gruppen unterschiedlicher Art gekennzeichnet und überaus differenziert. Selbst das bei einem Teil der Ruhrpolen ausgebildete polnische Nationalbewusstsein erhielt aufgrund negativer Erlebnisse nach der Rückkehr in den wiederrichteten polnischen Staat erhebliche Risse. Andererseits wirkten sich positive wirtschaftliche und soziale Erfahrungen auf die Festigung des zuvor ausgebildeten Bewusstseins aus, was sowohl die Integration in der deutschen Zielgesellschaft als auch die Wiedereingliederung in die polnische Gesellschaft nach der Rückkehr förderte.