Das Subjekt als Kind
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Die sich auf sozialhistorische und poststrukturalistische Methoden stützende Arbeit untersucht die Herausbildung moderner (männlicher) Subjektivität im Rahmen der literarischen Erfindung von Kindheit zwischen 1740 und 1790. Mehr als einhundert Jahre vor Freud erhebt dieser Diskurs – greifbar vor allem in Autobiographie und Briefroman – die Familie zum Zentrum der Seelenbildung und produziert damit einen kindheitsorientierten Subjektbegriff mit all seinen Neurosen und Komplexen. Während im Wandel vom traditionellen Haushalt zur patriarchalischen Liebesehe Kindheit lediglich als defizitäres Stadium erscheint (Gellert), stilisieren autobiographische Romane (Jung-Stilling, Bräker, Moritz) sie zum Urgrund für die soziale, psychologische und imaginäre Identität ihrer Helden. Von der Propagierung eines aufgeklärten Erziehungspatriarchats gelangen diese Texte zu mehr und mehr mutterzentrierten Sozialisationsspielen. Diese Veränderung bringt eine neue Beziehung zwischen der ästhetischen Einbildungskraft und den familiären Einbildungen mit sich. Goethes Werther verwirft so seine eigene Familie und imaginiert sich eine neue, die ihm in der Mutter-Kind-Dyade das ewige Kindsein ermöglicht.