Die Graupenstrasse
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Thüringen. Nordhausen am Harz. Immer wieder zieht es mich dort hin, dort an die Stätte meiner Jugend. Beim letzten Besuch reibe ich mir verwundert die Augen, staune. Ich sehe die liebevoll renovierten Häuser in der Oberstadt, die schmucken Gärten. Viel Eigeninitiative und hoffentlich viel Geld aus dem Solidaritätszuschlag. Der wird von allen Deutschen gezahlt. Dieser Beitrag hilft, die Wunden, die Krieg und Sozialismus geschlagen haben, zu schließen. Das Schild „Albert-Traeger-Strasse“ ist wieder richtig geschrieben. Irgendein Unwissender hatte zu DDR-Zeiten aus dem Namen des Politikers und Poeten in der Mitte des 19. Jahrhunderts ein „Albert Träger“ gemacht. Mit „ä“ - schrecklich. „Nordhausen, Alexander-Puschkin-Straße 19. Hier wohnten Ursula und Werner Rathsfeld mit ihren drei Kindern.“ Foto: Roland Obst Hier wohnte meine Familie. Um die Ecke herum die Alexander-Puschkin- Straße Nr. 19. Dort lebte mein Freund Lutz-Martin Rathsfeld. „In der Wohnung ist niemand. Jutta und Marei haben am Nachmittag Schule, und Lutz-Martin spielt wohl mit seinem Freund Wilm Herlyn.“ Das schreibt seine Mutter Ursula Rathsfeld, am 5. Juni 1950 in ihr Tagebuch. Die junge Frau war gerade die Treppe herauf gestiegen. Sie erwartet Besuch. Besuch von der Polizei. Und bittet die Nachbarin, ihre Wohnungstür etwas offen stehen zu lassen, damit sie hören kann, falls die Männer sie nach der Unterredung mit nähmen. Denn wer kümmert sich dann um die Kinder? Und da sind sie schon, zwei Männer in Zivil. Ihre Namen auf den Ausweisen verdecken sie. Sie gehen in das Wohnzimmer, einer „direkt zum Radio. Er prüft, welche Stationen eingestellt sind - es ist Leipzig. Eine andere, aus dem anderen Teil Deutschlands zu hören, ist nämlich bei Strafe verboten.“ Eine Postkarte nach fünf Jahren Haft Sie notiert weiter: „Dann fragt man mich nach Werner. Ich sage ihnen, dass ich vor Kurzem als erstes Lebenszeichen nach fast fünf Jahren eine Karte von ihm aus der Strafvollzugsanstalt Waldheim bekommen habe.“ Fünf lange Jahre voll Bangen und Hoffen. 21. November 1945. Buß- und Bettag. Vor dem Rathsfeld-Haus in der Grimmelallee gegenüber der „Kommandantura“, von den Russen bei ihrem Einzug in Nordhausen nach dem 1. Juni beschlagnahmt, hält ein Auto. Der Fahrer ruft: „Werner Rathsfeld?“ „Ja“, sage ich knapp. „Mitkommen. Personalien aufnehmen.“ Und: „Auch gleich wieder da“. Jutta, die Sechsjährige klammert sich an meine Beine und sagt immerzu. „Vatilein, Vatilein, geh nicht mit dem Russen mit!“ So erinnert sich Werner Rathsfeld. Gleich wieder da?
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Die Graupenstrasse, Werner Rathsfeld
- Language
- Released
- 2012
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- Title
- Die Graupenstrasse
- Language
- German
- Authors
- Werner Rathsfeld
- Publisher
- Iffland
- Released
- 2012
- ISBN10
- 3939357170
- ISBN13
- 9783939357179
- Category
- World history
- Description
- Thüringen. Nordhausen am Harz. Immer wieder zieht es mich dort hin, dort an die Stätte meiner Jugend. Beim letzten Besuch reibe ich mir verwundert die Augen, staune. Ich sehe die liebevoll renovierten Häuser in der Oberstadt, die schmucken Gärten. Viel Eigeninitiative und hoffentlich viel Geld aus dem Solidaritätszuschlag. Der wird von allen Deutschen gezahlt. Dieser Beitrag hilft, die Wunden, die Krieg und Sozialismus geschlagen haben, zu schließen. Das Schild „Albert-Traeger-Strasse“ ist wieder richtig geschrieben. Irgendein Unwissender hatte zu DDR-Zeiten aus dem Namen des Politikers und Poeten in der Mitte des 19. Jahrhunderts ein „Albert Träger“ gemacht. Mit „ä“ - schrecklich. „Nordhausen, Alexander-Puschkin-Straße 19. Hier wohnten Ursula und Werner Rathsfeld mit ihren drei Kindern.“ Foto: Roland Obst Hier wohnte meine Familie. Um die Ecke herum die Alexander-Puschkin- Straße Nr. 19. Dort lebte mein Freund Lutz-Martin Rathsfeld. „In der Wohnung ist niemand. Jutta und Marei haben am Nachmittag Schule, und Lutz-Martin spielt wohl mit seinem Freund Wilm Herlyn.“ Das schreibt seine Mutter Ursula Rathsfeld, am 5. Juni 1950 in ihr Tagebuch. Die junge Frau war gerade die Treppe herauf gestiegen. Sie erwartet Besuch. Besuch von der Polizei. Und bittet die Nachbarin, ihre Wohnungstür etwas offen stehen zu lassen, damit sie hören kann, falls die Männer sie nach der Unterredung mit nähmen. Denn wer kümmert sich dann um die Kinder? Und da sind sie schon, zwei Männer in Zivil. Ihre Namen auf den Ausweisen verdecken sie. Sie gehen in das Wohnzimmer, einer „direkt zum Radio. Er prüft, welche Stationen eingestellt sind - es ist Leipzig. Eine andere, aus dem anderen Teil Deutschlands zu hören, ist nämlich bei Strafe verboten.“ Eine Postkarte nach fünf Jahren Haft Sie notiert weiter: „Dann fragt man mich nach Werner. Ich sage ihnen, dass ich vor Kurzem als erstes Lebenszeichen nach fast fünf Jahren eine Karte von ihm aus der Strafvollzugsanstalt Waldheim bekommen habe.“ Fünf lange Jahre voll Bangen und Hoffen. 21. November 1945. Buß- und Bettag. Vor dem Rathsfeld-Haus in der Grimmelallee gegenüber der „Kommandantura“, von den Russen bei ihrem Einzug in Nordhausen nach dem 1. Juni beschlagnahmt, hält ein Auto. Der Fahrer ruft: „Werner Rathsfeld?“ „Ja“, sage ich knapp. „Mitkommen. Personalien aufnehmen.“ Und: „Auch gleich wieder da“. Jutta, die Sechsjährige klammert sich an meine Beine und sagt immerzu. „Vatilein, Vatilein, geh nicht mit dem Russen mit!“ So erinnert sich Werner Rathsfeld. Gleich wieder da?