Kindheit in Ostpreußen
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Zu ihren frühesten Kindheitserinnerungen gehört der Besuch eines berühmten Mannes, mit dem die kleine Komtess die kühnsten Erwartungen verbindet. Im Sommer 1916 erscheint auf Schloss Friedrichstein, dem Familiensitz ihres einflussreichen Vaters August Karl Graf Dönhoff, der siegreiche Generalfeldmarshall Paul von Hindenburg, um sich im zunehmend strapaziösen Ersten Weltkrieg ein paar Tage lang Urlaub zu gönnen. Die Eltern wissen das zu schätzen – doch für die damals knapp siebenjährige Tochter der stolzen Gastgeber ist es ein ziemlich enttäuschendes Ereignis. Statt der legendären Traumgestalt, die zwei Jahre zuvor in der Schlacht bei Tannenberg die erdrückende russische Offensive zurückschlug und immerhin 92.000 Gefangene machte, sieht sie da einen mit Pickelhaube bewehrten schnurrbärtigsteifen ältlichen „Nußknacker“ durch Haus und Park tappen. Ihrer Vorstellung vom „göttergleichen Helden“, lästert sie in der 1988 veröffentlichten Autobiografie „Kindheit in Ost¬preußen“, habe der jedenfalls kaum entsprochen. Dass sich die zum Zeitpunkt der Publikation 78-jährige Journalistin Marion Gräfin Dönhoff dem merkwürdig hinfällig wirkenden Kriegsherrn und späteren Reichspräsidenten der Weimarer Republik mit dem Unschuldsblick eines jungen Mädchens nähert, ist für das Buch bezeichnend. Die dem Untergang geweihte Welt der Aristokraten aus der Perspektive einer unbefangen beobachtenden Insiderin zu spiegeln, nimmt dem ernsten Stoff die Erdenschwere – und die Methode verfehlt ihre Wirkung nicht.