Staatliche Regelungsbefugnisse für Arbeitsentgelte und -bedingungen
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Die normative Tarifwirkung tritt nur zugunsten der beiderseits „Tarifgebundenen“ ein. Zwar wird dieses Ergebnis in der Arbeitswirklichkeit durch mannigfaltiges „Überwirken“ der tarifonomen Regelungen auf die Arbeitsverhältnisse nicht organisierter Arbeitnehmer durch individualvertragliche Bezugnahmeklauseln relativiert - dennoch aber ist festzustellen, dass die durch Art. 9 Abs. 3 GG gewährleistete Tarifonomie quasi „systembedingt“ gewisse Lücken offen lässt. Hier stellt sich die Frage nach der Möglichkeit und Notwendigkeit einer staatlichen Regelung von Arbeitsbedingungen und -entgelten. Gegenstand der Arbeit sind daher zum einen Möglichkeiten und Grenzen staatlichen Normierens in dem von Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Bereich. Dargestellt werden darüber hinaus bestimmte spezifisch arbeitsrechtliche Regelerzeugungsmechanismen, die der Schaffung von Tarifergänzungs- bzw. von Tarifersatznormen dienen, und bei denen die staatliche Urheberschaft durch vorherige Einbeziehung koalitiver oder jedenfalls „privater“ Vorarbeiten begleitet wird. Zu nennen sind insoweit - die Allgemeinverbindlicherklärung nach § 5 TVG - das Verfahren zur Schaffung „bindender Festsetzungen“ nach § 19 HAG für den Bereich der Heimarbeit - die „Fortentwicklung“ der Allgemeinverbindlicherklärung durch die im Jahr 1998 geschaffene Vorschrift des § 1 Abs. 3a AEntG - sowie das Verfahren nach dem Gesetz zur Festsetzung von Mindestarbeitsbedingungen vom 11. Januar 1952. Die genannten Instrumente werfen nicht nur hinsichtlich ihrer rechtlichen Qualifizierung, sondern insbesondere auch im Hinblick auf diverse verfassungsrechtliche Aspekte Fragen auf. Die bedeutsamsten unter diesen, wie etwa das Gebot demokratischer Legitimation für die als „Normsetzungsform sui generis“ erkannten Instrumente, die Bedeutung des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG für die Verordnungslösungen sowie insbesondere die Bedeutung des Art. 9 Abs. 3 GG für gesetzgeberische tatbestandliche Modifikationen des tradierten Instrumentes der Allgemeinverbindlicherklärung, sind daher Gegenstand der Untersuchung. Ein weiterer Schwerpunkt der Arbeit liegt jenseits der normativen Gestaltung von Arbeitsverhältnissen. Behandelt werden hier die Rechtsprobleme der im Jahr 2002 sehr aktuellen Praxis der sog. „Tariftreueforderung“ anlässlich der Vergabe öffentlicher Aufträge, bei welcher es nicht darum geht, dass der Staat Inhalte von Arbeitsverhältnissen unter Inanspruchnahme hoheitlicher Normsetzungskompetenz (ggf. unter Mitwirkung betroffener Kreise oder Verbände) oritativ-verbindlich regelt, sondern bei der der Staat seine wirtschaftliche Machtposition als marktbeherrschender Nachfrager einsetzt, um sozialpolitische Zielsetzungen (Tariftreue auch „Tarifungebundener“) zu verfolgen.