Zeitzeugin sein
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Aus dem Vorwort von Erhard Roy Wiehn: Wenn die Erinnerung kommt … Die hier gesammelten Beiträge sind zumeist in den Israel Nachrichten erschienen, beinhalten vor allem Erinnerungen an Czernowitz, aber auch einige Geschichten aus Israel und sind ungefähr in der zeitlichen Abfolge ihres Inhalts und nicht nach ihrer Erstveröffentlichung geordnet. Die Kindheits- und Jugenderinnerungen betreffen die wirkliche oder vermeintliche gute alte Zeit in Czernowitz mit vielen liebens- und erinnerungswürdigen Reminiszenzen, sodann die schockierende Zeit des ersten „Russenjahres“ 1940/41 mit den sowjetischen Deportationen sogenannter „Volksfeinde“ nach Sibirien, die schreckliche Zeit der Schoah 1941-1944, die in Rumänien besonders grausam verlaufen ist, teils wie in der Ukraine sofort mit Mord begann, teils mit der Deportation in die Arbeits- und/oder Todeslager Transnistriens (die Region in der südlichen Ukraine zwischen dem südlichen Bug im Osten, dem Dnjestr im Westen, dem Schwarzen Meer im Süden, Mohyliv-Podilskyi im Norden), aber auch die Zeit der Rückkehr der Roten Armee Ende März 1944. Dieser Teil der Schoah ist bis heute kaum bekannt und nicht in das kollektive Gedächtnis Deutschlands aufgenommen worden, obwohl auch Deutsche entscheidend daran beteiligt waren. „Wie erinnert man sich? Welche Erlebnisse sind es, die bleiben? Wer oder was trifft die Auswahl, was bleibt und was vergessen wird?“, fragt Sidi Gross: „Ich weiß nur, dass traumatische Erlebnisse wie der Krieg, die Schoah, das Ghetto, in seinem ganzen Umfang nicht erfassbar sind; Was geblieben ist, sind einzelne Bilder, einzelne Szenen.“ (S. 56) - „Am 22. Juni 1941 begann der Überfall der deutschen Wehrmacht auf die Sowjetunion, es kamen Deutsche und Rumänen und mit ihnen der Tod und das Ende des jüdischen Lebens in der Bukowina. Sie mordeten wahllos in den Straßen, in den Wohnungen, überall wo sie Juden fanden. Wir wurden ins Ghetto getrieben und sollten von dort nach Transnistrien deportiert werden. Es gelang uns jedoch im letzten Moment, aus dem Viehwaggon zu entkommen und uns zu verstecken.“ (S. 12) - „Das ist mehr als ein halbes Jahrhundert her, aber der Schmerz der Erinnerung tut heute noch genau so weh wie damals. “ (S. 57) Das Leben der Schoah-Generation bleibt auch in Israel von den damaligen Erfahrungen entscheidend geprägt: „Wie es mir geht?“, so Sidi Gross an anderer Stelle: „Ich schlafe nachts wenig oder überhaupt nicht, das Radio ist 24 Stunden in Betrieb, jede kleinste Verspätung, wenn jemand kommen sollte und noch nicht da ist, wird zu einem Trauma. Wie lange wird dieser endlose Alptraum noch dauern? Wahrscheinlich bis die Palästinenser verstehen, dass sie uns mit Terror nie besiegen werden. Heute besteht unsere wichtigste Aufgabe darin, durchzuhalten und unseren guten und weniger guten Freunden in aller Welt klarzumachen, dass wir unser Israel verteidigen werden, bis unsere Nachbarn einsehen, daß ihr Kampf aussichtslos und sinnlos ist, und dass es für sie das beste ist, mit uns in Frieden zu leben.“ (S. 86) Im Jahres 2005 scheint es ja diesbezüglich immerhin gewisse Hoffnungen zu geben. Was aufgeschrieben, veröffentlicht und in einigen Bibliotheken der Welt aufgehoben ist, wird vielleicht nicht so schnell vergessen.