Säumnis und streitige Entscheidung
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Gedanklicher Ausgangspunkt der Studie sind Fallgestaltungen, wie sie alltäglicher nicht sein könnten. Der Kläger hat gegen den Beklagten eine Kaufpreisforderung in Höhe von 500 Euro, wird jedoch von der Wahrnehmung der mündlichen Verhandlung unverschuldet (bspw. wegen eines Unfalls) abgehalten. Das Gericht gelangt zur Überzeugung, dass seine Klage wegen Zulässigkeitsmangels durch unechtes Versäumnisurteil abzuweisen ist. Für den Praktiker steht dieses Ergebnis außer Frage. Gegen den säumigen Kläger ist seiner Überzeugung nach nicht nur wegen der anzustellenden Prüfung von Amts wegen, sondern gerade auch wegen des Grundsatzes der Prozessökonomie streitig zu entscheiden. Das Verfahren gegen den säumigen Kläger ist zu einem raschen Ende zu bringen, hat er doch durch seine Abwesenheit sein offensichtliches Desinteresse zum Ausdruck gebracht. Wie folgenschwer diese Weichenstellung jedoch ist, zeigt sich, wenn man an den Stellschrauben des Falls dreht und sich vorstellt, der Kläger könne sowohl die Zulässigkeit der Klage als auch das Bestehen des Anspruchs nachweisen. Es bewahrheitet sich nämlich der alte Lehrsatz, nach dem ein Recht nur so viel wert ist wie seine prozessuale Durchsetzbarkeit. Gerade diese bleibt dem säumigen Kläger aber verwehrt. Weder kann er die Entscheidung mit dem Einspruch (§ 330 ZPO) noch mangels hinreichender Beschwer (§ 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) mit der Berufung angreifen. Diese eklatante Rechtsschutzlücke widerspricht dem Rechtsempfinden und weist zugleich auf eine Bruchstelle im System des Versäumnisrechts hin. Das unechte Versäumnisurteil gegen den säumigen Kläger überschreitet die Grenzen streitiger Entscheidung und stellt einen zivilprozessualen Fremdkörper dar. Diesen Nachweis führt die diese Studie, indem sie die Figur des unechten Versäumnisurteils insbesondere anhand der Wertmaßstäbe der ZPO und des Grundgesetzes untersucht und einen Widerspruch zu zivilprozessualen Mindeststandards, wie dem rechtlichen Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) und dem Grundsatz der mündlichen Verhandlung (§ 128 Abs. 1 ZPO), offenlegt.