Ostpreußische Wolfskinder
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Im Frühjahr 1947 flüchteten Tausende Ostpreußen vor dem drohenden Hungertod nach Litauen. Die meisten von ihnen waren Kinder und Jugendliche, die sog. Wolfskinder. Wer von einer litauischen Familie aufgenommen werden wollte, musste seine Herkunft verschleiern und rasch in eine neue Identität, Sprache und Kultur hineinwachsen, deshalb mieden sich die jungen Ostpreußen fortan gegenseitig. Trotzdem wurden sie von der litauischen Bevölkerung und den Behörden weiterhin als Kollektivum wahrgenommen und später mehrheitlich repatriiert. Auch nach ihrer Rückkehr in die deutsche Gesellschaft und unbeeinflusst von den weiteren jeweils durchlaufenen Identitätsbildungsprozessen blieben die Betroffenen Einzelkämpfer. Weder in der Bundesrepublik noch in der DDR gab es einen öffentlichen Kommunikationsraum für ihre Erinnerungen – sie blieben auf ganzer Linie erinnerungseinsam, eine kollektive Wolfskinder-Identität konnte sich nicht ausbilden. Dies änderte sich auch nach 1989/90 nicht wesentlich, als sich die öffentliche und mediale Aufmerksamkeit primär auf die in Litauen verbliebenen Wolfskinder richtete. Die Quellengrundlage der Arbeit bilden 50 lebensbiographische Einzelinterviews sowie bislang unveröffentlichte Schriftquellen aus 18 Archiven. Im Mittelpunkt des Werkes steht die Frage, welche Selbstbilder die Zeitzeugen in ihrem von multiplen Verlust- und Einsamkeitserfahrungen geprägten Dasein entwickelt haben. Dadurch ergibt sich ein bisher nicht existenter Tiefenblick in die für Wolfskinder charakteristischen Verflechtungen von Defensiverlebnissen und Überlebenskünsten.