Justizpraxis in Ehesachen im Dritten Reich
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Zufällig erhalten gebliebene Prozeßakten in Ehesachen des Landgerichts Berlin bieten erstmals Einblicke in den (Berliner) Zivilrechtsalltag während der NS-Diktatur – schwerpunktmäßig sogar während der Endphase des Krieges. Vor dem Hintergrund des ab 1. August 1938 geltenden „Großdeutschen Ehegesetzes“ wird der Gerichtsalltag in seiner Vielschichtigkeit aufgezeigt. Der Gang der Verfahren wird anschaulich: von der Einreichung der Anträge auf Prozeßkostenhilfe (damals: Armenrecht) bzw. der Klageschriften über umfangreiche Beweisaufnahmen bis zu den ausführlichen land- und kammergerichtlichen Urteilen. Die sich vorwiegend an Juristen und Historiker wendende Untersuchung kommt zu dem Ergebnis, die NS-Ideologie sei in den ausgewerteten Verfahren (hauptsächlich Ehescheidungen) auf zwiespältige Weise präsent gewesen und habe sie „gefärbt“. Eheleute, Prozeßbevollmächtigte sowie nicht zuletzt auch Richter hatten beträchtliche Handlungs- und Entscheidungsfreiräume, die sie verschieden nutzten. Dies traf sogar zu, wenn zu Volks- und Staatsfeinden erklärte Personen Prozeßparteien waren. Die von der NS-Propaganda beschworene Einheitlichkeit existierte nicht. Der Gerichtsalltag in Ehesachen war ambivalent und widersprüchlich.