"Die neuen Evangelisten"
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Die vorliegende Arbeit befasst sich mit Bibelbildern aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, die den Kunstströmungen Naturalismus und Orientrealismus verpflichtet sind. Mittels dieser Stile drückten die Künstler eine neue Sicht auf die Bibel aus, die die veränderten Lebensverhältnisse und die zeitgenössischen Ideologien widerspiegelt. Es werden drei religiöse Graphikfolgen exemplarisch untersucht: Zunächst die achtteilige Folge von Max Klinger, Ratschläge zu einer Konkurrenz über das Thema Christus von 1877/78. Das Jugendwerk zeigt bereits einen Kerngedanken auf, der die religiöse Kunst um diese Zeit erfasst hatte: Die Erforschung des „historischen Jesus“, die bei Klinger durch die Darstellung ikonographisch untraditioneller Nebenszenen deutlich wird. Die Folge beinhaltet auch ironische Elemente, die in den Werken der Akademiemaler und der frommen Nazarener undenkbar gewesen wären. Beim zweiten Werk handelt es sich um die Bibelillustrationen des französischen Künstlers James Tissot, die dieser zwischen 1886 und 1902 anfertigte. Die Blätter sind zum einen von einem mystischen Katholizismus und vom Spiritismus geprägt, zwei Strömungen, die vor allem in Frankreich Mitte der 1880er Jahre zahlreiche neue Anhänger fanden. Sie stehen aber auch für einen wissenschaftlich begründeten Glauben, für eine positivistische Dokumentation der biblischen Ereignisse, die Tissot als Forscher im Heiligen Land ergründen wollte. Das letzte Kapitel befasst sich mit der Bilderbibel Die Bibel in der Kunst aus dem Jahr 1905, die von einer Amsterdamer Bibelgesellschaft initiiert wurde. Sie beinhaltet 100 Photogravüren nach Originalzeichnungen von 26 renommierten zeitgenössischen Künstlern aus verschiedenen Ländern, wie beispielsweise der Deutschen Max Liebermann und Fritz von Uhde, des Russen Ilja Repin, des Franzosen Jean-Léon Gérôme und des Niederländers Lawrence Alma-Tadema. Die Mehrzahl dieser Illustrationen verbindet die starke Psychologisierung der biblischen Figuren - ein Merkmal, das in der religiösen Kunst dieser Zeit häufig anzutreffen ist. Die Leben-Jesu-Forschung ist in allen Beispielen präsent: So tritt Christus als intellektuelles Genie, spiritistisches Medium, Sozialist oder Orientale in Erscheinung, passend zum Weltbild des jeweiligen Künstlers. Vor dem Ersten Weltkrieg verlor diese Bewegung dann an Bedeutung, so dass derartige Darstellungen auch wieder aus den Bibeln verschwanden.