Nirgendwo in Afrika
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AuszugRongai, den 4. Februar 1938 Meine liebe Jettel! Hol Dir erst mal ein Taschentuch, und setz Dich ganz ruhig hin. Du brauchst jetzt gute Nerven. So Gott will, werden wir uns sehr bald wiedersehen. Jedenfalls viel früher, als wir je zu hoffen wagten. Seit meinem letzten Brief aus Mombasa, den ich Dir am Tag meiner Ankunft schrieb, ist so viel passiert, daß ich immer noch ganz wirr im Kopf bin. Ich war nur eine Woche in Nairobi und schon sehr niedergeschlagen, weil mir jeder sagte, daß ich mich hier ohne Englischkenntnisse gar nicht erst nach einer Arbeit in der Stadt umzusehen brauchte. Ich sah aber auch keine Möglichkeit, auf einer Farm unterzukommen, wie das hier fast jeder tut, um erst einmal ein Dach über dem Kopf zu haben. Dann wurde ich vor einer Woche zusammen mit Walter Süßkind (er stammt aus Pommern) zu einer reichen jüdischen Familie eingeladen. Ich habe mir zunächst gar nicht viel dabei gedacht und nahm einfach an, die würden es hier auch nicht anders als meine Mutter in Sohrau halten, die ja immer irgendwelche armen Schlucker mit an ihrem Tisch sitzen hatte. Inzwischen weiß ich jedoch, was ein Wunder ist. Die Familie Rubens lebt schon seit fünfzig Jahren in Kenia. Der alte Rubens ist Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Nairobi, und die wiederum kümmert sich um die Refugees (das sind wir), wenn sie frisch ins Land kommen. Bei Rubens' (fünf erwachsene Söhne) war man ganz außer sich, als herauskam, daß Du und Regina noch in Deutschland seid. Hier sieht man die Dinge ganz anders als ich zu Hause. Du und Vater hattet also ganz recht, als Ihr nicht wolltet, daß ich allein auswandere, und ich schäme mich, daß ich nicht auf Euch gehört habe. Wie ich später erfuhr, hat mich Rubens schrecklich beschimpft, aber ich konnte ihn ja nicht verstehen. Du kannst Dir gar nicht vorstellen, wie lange es gedauert hat, ehe ich kapierte, daß die Gemeinde für Dich und Regina die hundert Pfund für die Einwanderungsbehörden vorstrecken will. Mich hat man sofort auf eine Farm verfrachtet, damit wir alle drei erst mal eine Unterkunft haben und ich wenigstens etwas verdienen kann. Das heißt, Ihr müßt so schnell wie möglich abfahren. Dieser Satz ist der allerwichtigste im ganzen Brief. Obwohl ich mich wie ein Schaf benommen habe, mußt Du mir jetzt vertrauen. Jeder Tag, den Du mit dem Kind länger in Breslau bleibst, ist verloren. Geh also sofort zu Karl Silbermann. Er hat die größte Erfahrung mit Auswanderungsproblemen und wird Dich zu dem Mann vom Deutschen Reisebüro bringen, der schon so anständig zu mir war. Er wird Dir sagen, wie Du am schnellsten an Schiffskarten kommst, und es ist ganz egal, was es für ein Schiff ist und wie lange es unterwegs sein wird. Wenn möglich, nimm eine Drei-Bett-Kabine. Ich weiß, das ist nicht angenehm, aber sehr viel billiger als die zweite Klasse, und wir brauchen jeden Pfennig. Hauptsache, Ihr seid erst mal an Bord und auf See. Dann können wir alle wieder ruhig schlafen. Du mußt Dich auch sofort mit der Firma Danziger wegen unserer Kisten in Verbindung setzen. Du weißt, wir haben noch eine leer gelassen für Dinge, die uns einfallen. Sehr wichtig ist ein Eisschrank für die Tropen. Wir brauchen auch unbedingt eine Petromaxlampe. Sieh zu, daß sie Dir zusätzlich ein paar Strümpfe mitgeben. Sonst haben wir die Lampe und sitzen trotzdem im Dunkeln. Auf der Farm, auf der ich gelandet bin, gibt es kein elektrisches Licht. Kaufe auch zwei Moskitonetze. Wenn das Geld reicht, drei. Rongai ist zwar keine ausgesprochene Malariagegend, aber man weiß ja nicht, wo wir noch landen werden. Wenn der Platz für den Eisschrank nicht ausreicht, dann laß das Rosenthalgeschirr wieder auspacken. Wir werden es wohl in diesem Leben nicht mehr brauchen und haben uns schon von ganz anderen Dingen trennen müssen als von Tellern mit Blümchenmuster. Regina braucht Gummistiefel und Manchesterhosen (Du übrigens auch). Wenn jemand ihr was zum Abschied schenken möchte, bitte um Schuhe, die ihr auch noch in zwei Jahren passen. Ich kann mir, jedenfalls heute, nicht vorstellen, daß wir einmal reich genug sein werden, um Schuhe zu kaufen. Mach erst die Liste für das Auswanderungsgut, wenn Du alles beisammen hast. Es ist wichtig, daß jedes Stück aufgezählt wird, das mitgehen soll. Sonst gibt es schrecklichen Ärger. Und laß Dich bloß von keinem überreden, irgend jemandem etwas mitzunehmen. Denk an den armen B. Den Kummer mit dem Hamburger Zoll hat er nur seiner Gutmütigkeit zu verdanken. Wer weiß, ob er je nach England kommt und wie lange er unter Buchen wandern wird. Am besten Du sprichst so wenig wie möglich über Deine Pläne. Man weiß nicht mehr, was aus einem Gespräch werden kann und was aus Menschen geworden ist, die man ein Leben lang gekannt hat. Von mir will ich heute nur kurz berichten, sonst schwirrt Dir auch der Kopf. Rongai liegt ungefähr tausend Meter hoch, ist aber sehr heiß. Die Abende sind sehr kalt (nimm also Wollsachen mit). Auf der Farm wächst hauptsächlich Mais, doch habe ich noch nicht herausgefunden, was ich mit ihm machen soll. Außerdem haben wir fünfhundert Kühe und jede Menge Hühner. Für Milch, Butter und Eier ist also gesorgt. Sieh zu, daß du ein Backrezept für Brot mitbringst. Das, was der Boy bäckt, sieht aus wie Matze und schmeckt noch schlechter. Setzei kann er wunderbar, Rührei gar nicht. Und wenn er weiche Eier kocht, singt er ein ganz bestimmtes Lied. Leider ist das Lied zu lang, und die Eier werden immer hart. Wie Du siehst, habe ich schon einen eigenen Boy. Er ist groß, natürlich schwarz (bitte mache Regina klar, daß nicht alle Menschen weiß sind) und heißt Owuor. Er lacht sehr viel, was mir bei meiner gegenwärtigen Unruhe guttut. Boys sind hier die Diener, aber es heißt gar nichts, wenn man einen Boy hat. Auf einer Farm hat man so viel Personal, wie man will. Du kannst also Deine Sorgen um ein Dienstmädchen sofort einstellen. Es leben hier sehr viele Menschen. Ich beneide sie, weil sie nicht wissen, was in der Welt geschieht und weil sie ihr Auskommen haben. Im nächsten Brief erzähle ich Dir mehr von Süßkind. Er ist ein Engel, fährt heute nach Nairobi und will die Post mitnehmen. Da gewinnt man mindestens eine Woche, und ein reger Briefwechsel ist für uns jetzt sehr wichtig. Wenn Du antwortest, numeriere Deine Briefe und schreib genau, auf welchen Du antwortest. Sonst kommt unser Leben noch mehr durcheinander, als es schon ist. Schreib, so bald Du kannst, an Vater und Liesel, und nimm ihnen die Angst um uns alle. Mein Herz zerspringt bei dem Gedanken, daß ich vielleicht schon sehr bald Dich und das Kind in die Arme schließen kann. Und es wird schwer, wenn ich daran denke, daß dieser Brief Deiner Mutter sehr weh tun wird. Nun bleibt ihr von ihren beiden Mädels nur noch eins, und wer weiß, wie lange. Aber Deine Mutter ist immer eine großartige Frau gewesen, und ich weiß, daß sie Dich und ihr Enkelkind lieber in Afrika weiß als in Breslau. Gib Regina einen dicken Kuß von mir und verpimple sie nicht. Arme Leute können sich keine Ärzte leisten. Ich kann mir denken, in welche Aufregung Dich dieser Brief stürzen wird, aber du mußt jetzt stark sein. Für uns alle. Es umarmt Dich voller Sehnsucht Dein alter Walter. P. S. Die Söhne von Mr. Rubens hätten Dir gefallen, richtig fesche Burschen. Wie früher bei uns in der Tanzstunde. Ich hielt sie alle für unverheiratet, habe jedoch später erfahren, daß ihre Frauen sich immer zum Bridge treffen, wenn es um uns Refugees geht. Das Thema hängt ihnen zum Hals heraus. Rongai, den 15. Februar 1938 Mein lieber Vater! Ich hoffe, Du hast inzwischen von Jettel Nachricht bekommen und somit erfahren, daß Dein Sohn Farmer geworden ist. Mutter hätte bestimmt gesagt 'schön, aber schwer', doch Besseres kann sich ein gelöschter Rechtsanwalt und Notar nicht wünschen. Heute früh habe ich bereits ein neugeborenes Kalb aus dem Bauch einer Kuh gezogen und es Sohrau getauft. Ich hätte lieber bei der Geburt eines Fohlens Hebamme gespielt, denn Reiten habe ich ja bei Dir schon gelernt, ehe Du des Kaisers Rock angezogen hast. Denk bloß nicht, daß es ein Fehler war, mich studieren zu lassen. Das scheint nur so im Augenblick. Wie lange mag es wohl dauern? Mein Chef, der nicht auf der Farm, sondern in Nairobi lebt, hat eine Menge Bücher im Schrank. Darunter die Encyclopaedia Britannica und ein lateinisches Wörterbuch. Ich könnte also hier in der Wildnis gar nicht Englisch lernen, wenn ich nicht Latein gelernt hätte. So aber kann ich mich bereits über Tische, Flüsse, Legionen und Kriege unterhalten und sogar sagen: 'Ich bin ein Mann ohne Heimat.' Leider klappt das nur in der Theorie, denn hier auf der Farm sind nur Schwarze, und die sprechen Suaheli und finden es furchtbar ulkig, daß ich sie nicht verstehe. Ich bin gerade dabei, im Konversationslexikon über Preußen nachzulesen. Wenn ich schon die Sprache nicht kann, muß ich mir ja Themen heraussuchen, die ich kenne. Du kannst Dir nicht vorstellen, wie lange die Tage auf so einer Farm sind, aber ich will nicht klagen. Ich bin dem Schicksal dankbar, besonders seitdem ich die Hoffnung habe, Regina und Jettel bald hier zu haben. Um Euch beide mache ich mir große Sorgen. Was ist, wenn die Deutschen in Polen einmarschieren? Die wird es nicht interessieren, daß Du und Liesel Deutsche geblieben seid und nicht für Polen optiert habt. Für die seid Ihr Juden, und glaub bloß nicht, daß Dir Deine Auszeichnungen aus dem Krieg etwas nutzen. Das haben wir ja nach 1933 erlebt. Andererseits dürftet Ihr, gerade weil Ihr nicht für Polen optiert habt, nicht unter die polnische Quote fallen, die ja überall die Auswanderung erschwert. Wenn Du das Hotel verkaufen würdest, könntest auch Du an Auswanderung denken. Vor allem für Liesel solltest Du es tun. Sie ist doch erst zweiunddreißig und hat bisher noch nichts vom Leben gehabt. Ich habe einem ehemaligen Bankier aus Berlin (er zählt jetzt Säcke auf einer Kaffeefarm) von Liesel erzählt und daß sie noch in Sohrau ist. Der meinte, ledige Frauen seien bei den hiesigen Einwanderungsbehörden gar nicht ungern gesehen. Vor allem kommen sie gut als Kindermädchen bei den reichen englischen Farmersfamilien unter. Hätte ich die hundert Pfund, um für Euch beide zu bürgen, würde ich Dich noch ganz anders zur Auswanderung drängen. Es ist aber schon mehr als eine Gnade, daß ich Jettel und das Kind nachholen kann. Vielleicht könntest Du Dich mal mit Rechtsanwalt Kammer in Leobschütz in Verbindung setzen. Der war bis zum Schluß hoch anständig zu mir. Als ich gelöscht wurde, sagte er mir zu, die Mandantengelder, die noch eingehen müßten, für mich in Verwahrung zu nehmen. Der würde Dir bestimmt helfen, wenn Du ihm erklärst, daß Du zwar immer noch ein Hotel, aber kein Geld hast. In Leobschütz weiß man ja, wie es den Deutschen in Polen all die Jahre ergangen ist. Erst hier, wo ich so allein mit meinen Gedanken bin, kommt mir so richtig zu Bewußtsein, daß ich mich viel zu wenig um Liesel gekümmert habe. Sie hätte mit ihrer Herzensgüte und Opferbereitschaft nach Mutters Tod einen besseren Bruder verdient. Und Du einen Sohn, der Dir beizeiten gedankt hätte für alles, was Du für ihn getan hast. Du brauchst mir wirklich nichts hierher zu schicken. Mit den freien Lebensmitteln von der Farm habe ich alles, was ich zum Leben brauche, und bin guter Hoffnung, daß ich eines Tages eine Stellung bekomme, bei der ich genug verdiene, um Regina zur Schule zu schicken (kostet hier enormes Geld, und Schulpflicht haben sie auch nicht). Über Rosensamen würde ich mich allerdings sehr freuen. Dann würden auf diesem gottverdammten Fleck Erde die gleichen Blumen blühen wie vor meinem Vaterhaus. Vielleicht kann mir Liesel auch ein Rezept für Sauerkraut schicken. Ich habe gehört, daß Kraut hier gedeihen soll. Es umarmt Euch beide in Liebe Euer Walter Rongai, den 27. Februar 1938 Meine liebe Jettel! Heute kam Dein Brief vom 17. Januar an. Er mußte mir erst aus Nairobi nachgeschickt werden. Daß das überhaupt klappt, ist ein Wunder. Du kannst Dir gar nicht vorstellen, was Entfernungen in diesem Land bedeuten. Von mir zur Nachbarfarm sind es fünfundfünfzig Kilometer, und Walter Süßkind ist auf den schlechten, teilweise verschlammten Straßen drei Stunden unterwegs zu mir. Trotzdem war er bisher jede Woche da, um mit mir Schabbes zu feiern. Er stammt aus einem frommen Haus. Er hat das Glück, daß ihm sein Chef ein Auto zur Verfügung gestellt hat. Meiner, Mr. Morrison, glaubt leider, daß seit der Wüstenwanderung alle Kinder Israels gut zu Fuß sind. Ich bin nicht mehr von der Farm weggekommen, seitdem mich Süßkind hierher gebracht hat. Leider gibt es keine Pferde. Der einzige Esel auf dieser Farm hat mich so oft abgeworfen, daß ich grün und blau war. Süßkind hat schrecklich gelacht und gesagt, afrikanische Esel könne man nicht reiten. Die ließen sich nicht für so dumm verkaufen wie die in deutschen Seebädern. Wenn du herkommst, wirst Du Dich auch daran gewöhnen müssen, daß es direkt ins Schlafzimmer regnet. Man stellt einfach einen Eimer auf und freut sich über das Wasser. Das ist nämlich kostbar. Vorige Woche hat es überall gebrannt. Ich war entsetzlich aufgeregt. Zum Glück war Süßkind gerade zu Besuch und hat mich über Buschfeuer aufgeklärt. Die gibt es hier immerzu. Es tut mir gut zu wissen, daß der größte Teil Deines Briefes überholt ist. Inzwischen wirst Du ja erfahren haben, daß Deine Tage in Breslau gezählt sind. Bei dem Gedanken, Euch beide hier zu haben, schlägt mein Herz wie einst im Mai, als wir uns eine große Zukunft ausmalten. Heute wissen wir beide, daß nur eines wichtig ist - das Davonkommen. Unbedingt weitermachen solltest Du mit Deinen Englischstunden, und es spielt wirklich keine Rolle, daß Dir der Lehrer nicht gefällt. Mit Spanisch kannst Du sofort aufhören. Das war doch nur für den Fall gedacht, daß wir Visa für Montevideo bekommen hätten. Um mit den Menschen auf der Farm zu reden, muß man Suaheli lernen. Da hat es der liebe Gott mal ausgesprochen gut mit uns gemeint. Suaheli ist eine sehr einfache Sprache. Ich konnte kein Wort, als ich nach Rongei kam, und jetzt bin ich schon soweit, daß ich mich leidlich mit Owuor verständigen kann. Er findet es wunderbar, wenn ich auf Gegenstände zeige und er mir dann die Dinge beim Namen nennen darf. Mich nennt er Bwana. So redet man hier die weißen Männer an. Du wirst die Memsahib sein (der Begriff wird nur für weiße Frauen gebraucht) und Regina das Toto. Das heißt Kind. Vielleicht kann ich bis zu meinem nächsten Brief schon genug Suaheli, um Owuor klarzumachen, daß ich die Suppe nicht gern nach dem Pudding esse. Pudding kann er übrigens wunderbar kochen. Beim erstenmal habe ich viele schmatzende Geräusche gemacht. Er hat zurückgeschmatzt, und seitdem kocht er jeden Tag den gleichen Pudding. Eigentlich müßte ich mehr lachen, aber es lacht sich nicht gut allein. Nachts schon gar nicht, wenn man sich nicht gegen die Erinnerungen wehren kann. Wenn ich bloß schon Nachricht von Dir hätte und ob Ihr Schiffskarten habt. Wer hätte je gedacht, daß es so wichtig werden könnte, aus der Heimat herauszukommen. Jetzt gehe ich zum Melken. Das heißt, ich sehe zu, während die Boys melken, und lerne die Namen der Kühe. Das lenkt ab. Schreib bitte sofort, wenn Du meine Briefe bekommst. Und versuche, Dich so wenig wie möglich aufzuregen. Du kannst sicher sein, daß meine Gedanken Tag und Nacht bei Euch sind. Einen dicken Kuß für Euch beide, Deine Mutter und Deine Schwester. Dein alter Walter Rongai, den 15. März 1938 Meine liebe Jettel! Heute kam Dein Brief vom 31. Januar. Er hat mich sehr traurig gemacht, weil ich Dir gar nicht helfen kann in Deiner Angst. Ich kann mir gut vorstellen, daß Du jetzt sehr viel Trauriges hörst, aber das müßte Dir auch zeigen, daß das Schicksal nicht nur uns getroffen hat. Es stimmt übrigens nicht, daß nur ich allein ausgewandert bin. Hier sind viele Männer, die erst versuchen wollen, eine Existenz zu schaffen, ehe sie die Familie nachholen, und die sind nun in der gleichen Lage wie ich - nur ohne das Glück, daß ein rettender Engel wie Rubens eingegriffen hat. Du mußt fest daran glauben, daß wir uns bald wiedersehen. Das sind wir dem lieben Gott schuldig. Es hat auch keinen Zweck, darüber zu grübeln, ob wir besser nach Holland oder nach Frankreich gegangen wären. Wir hatten ja gar keine Wahl mehr, und wer weiß, wozu es gut ist. Es ist nicht mehr wichtig, daß sie Regina nicht in dem Kindergarten nehmen wollen. Und es spielt auch keine Rolle für unser ferneres Glück, daß Dich Leute nicht mehr grüßen, die Du seit Jahren kennst. Du mußt jetzt wirklich lernen, Unwichtiges von Wichtigem zu unterscheiden. Unser Leben nimmt keine Rücksicht mehr darauf, daß Du als verwöhnte höhere Tochter aufgewachsen bist. In der Emigration zählt nicht das, was man war, sondern nur, daß Mann und Frau am selben Strang ziehen. Ich bin sicher, daß wir es schaffen. Wenn du nur schon hier wärst und wir damit beginnen könnten. Einen ganz dicken Kuß für Euch beide Dein alter Walter
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Nirgendwo in Afrika, Stefanie Zweig
- Language
- Released
- 2000
- Book condition
- Good
- Price
- €1.39
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- Title
- Nirgendwo in Afrika
- Language
- German
- Authors
- Stefanie Zweig
- Publisher
- Heyne
- Released
- 2000
- ISBN10
- 3453172027
- ISBN13
- 9783453172029
- Category
- World prose
- Description
- AuszugRongai, den 4. Februar 1938 Meine liebe Jettel! Hol Dir erst mal ein Taschentuch, und setz Dich ganz ruhig hin. Du brauchst jetzt gute Nerven. So Gott will, werden wir uns sehr bald wiedersehen. Jedenfalls viel früher, als wir je zu hoffen wagten. Seit meinem letzten Brief aus Mombasa, den ich Dir am Tag meiner Ankunft schrieb, ist so viel passiert, daß ich immer noch ganz wirr im Kopf bin. Ich war nur eine Woche in Nairobi und schon sehr niedergeschlagen, weil mir jeder sagte, daß ich mich hier ohne Englischkenntnisse gar nicht erst nach einer Arbeit in der Stadt umzusehen brauchte. Ich sah aber auch keine Möglichkeit, auf einer Farm unterzukommen, wie das hier fast jeder tut, um erst einmal ein Dach über dem Kopf zu haben. Dann wurde ich vor einer Woche zusammen mit Walter Süßkind (er stammt aus Pommern) zu einer reichen jüdischen Familie eingeladen. Ich habe mir zunächst gar nicht viel dabei gedacht und nahm einfach an, die würden es hier auch nicht anders als meine Mutter in Sohrau halten, die ja immer irgendwelche armen Schlucker mit an ihrem Tisch sitzen hatte. Inzwischen weiß ich jedoch, was ein Wunder ist. Die Familie Rubens lebt schon seit fünfzig Jahren in Kenia. Der alte Rubens ist Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Nairobi, und die wiederum kümmert sich um die Refugees (das sind wir), wenn sie frisch ins Land kommen. Bei Rubens' (fünf erwachsene Söhne) war man ganz außer sich, als herauskam, daß Du und Regina noch in Deutschland seid. Hier sieht man die Dinge ganz anders als ich zu Hause. Du und Vater hattet also ganz recht, als Ihr nicht wolltet, daß ich allein auswandere, und ich schäme mich, daß ich nicht auf Euch gehört habe. Wie ich später erfuhr, hat mich Rubens schrecklich beschimpft, aber ich konnte ihn ja nicht verstehen. Du kannst Dir gar nicht vorstellen, wie lange es gedauert hat, ehe ich kapierte, daß die Gemeinde für Dich und Regina die hundert Pfund für die Einwanderungsbehörden vorstrecken will. Mich hat man sofort auf eine Farm verfrachtet, damit wir alle drei erst mal eine Unterkunft haben und ich wenigstens etwas verdienen kann. Das heißt, Ihr müßt so schnell wie möglich abfahren. Dieser Satz ist der allerwichtigste im ganzen Brief. Obwohl ich mich wie ein Schaf benommen habe, mußt Du mir jetzt vertrauen. Jeder Tag, den Du mit dem Kind länger in Breslau bleibst, ist verloren. Geh also sofort zu Karl Silbermann. Er hat die größte Erfahrung mit Auswanderungsproblemen und wird Dich zu dem Mann vom Deutschen Reisebüro bringen, der schon so anständig zu mir war. Er wird Dir sagen, wie Du am schnellsten an Schiffskarten kommst, und es ist ganz egal, was es für ein Schiff ist und wie lange es unterwegs sein wird. Wenn möglich, nimm eine Drei-Bett-Kabine. Ich weiß, das ist nicht angenehm, aber sehr viel billiger als die zweite Klasse, und wir brauchen jeden Pfennig. Hauptsache, Ihr seid erst mal an Bord und auf See. Dann können wir alle wieder ruhig schlafen. Du mußt Dich auch sofort mit der Firma Danziger wegen unserer Kisten in Verbindung setzen. Du weißt, wir haben noch eine leer gelassen für Dinge, die uns einfallen. Sehr wichtig ist ein Eisschrank für die Tropen. Wir brauchen auch unbedingt eine Petromaxlampe. Sieh zu, daß sie Dir zusätzlich ein paar Strümpfe mitgeben. Sonst haben wir die Lampe und sitzen trotzdem im Dunkeln. Auf der Farm, auf der ich gelandet bin, gibt es kein elektrisches Licht. Kaufe auch zwei Moskitonetze. Wenn das Geld reicht, drei. Rongai ist zwar keine ausgesprochene Malariagegend, aber man weiß ja nicht, wo wir noch landen werden. Wenn der Platz für den Eisschrank nicht ausreicht, dann laß das Rosenthalgeschirr wieder auspacken. Wir werden es wohl in diesem Leben nicht mehr brauchen und haben uns schon von ganz anderen Dingen trennen müssen als von Tellern mit Blümchenmuster. Regina braucht Gummistiefel und Manchesterhosen (Du übrigens auch). Wenn jemand ihr was zum Abschied schenken möchte, bitte um Schuhe, die ihr auch noch in zwei Jahren passen. Ich kann mir, jedenfalls heute, nicht vorstellen, daß wir einmal reich genug sein werden, um Schuhe zu kaufen. Mach erst die Liste für das Auswanderungsgut, wenn Du alles beisammen hast. Es ist wichtig, daß jedes Stück aufgezählt wird, das mitgehen soll. Sonst gibt es schrecklichen Ärger. Und laß Dich bloß von keinem überreden, irgend jemandem etwas mitzunehmen. Denk an den armen B. Den Kummer mit dem Hamburger Zoll hat er nur seiner Gutmütigkeit zu verdanken. Wer weiß, ob er je nach England kommt und wie lange er unter Buchen wandern wird. Am besten Du sprichst so wenig wie möglich über Deine Pläne. Man weiß nicht mehr, was aus einem Gespräch werden kann und was aus Menschen geworden ist, die man ein Leben lang gekannt hat. Von mir will ich heute nur kurz berichten, sonst schwirrt Dir auch der Kopf. Rongai liegt ungefähr tausend Meter hoch, ist aber sehr heiß. Die Abende sind sehr kalt (nimm also Wollsachen mit). Auf der Farm wächst hauptsächlich Mais, doch habe ich noch nicht herausgefunden, was ich mit ihm machen soll. Außerdem haben wir fünfhundert Kühe und jede Menge Hühner. Für Milch, Butter und Eier ist also gesorgt. Sieh zu, daß du ein Backrezept für Brot mitbringst. Das, was der Boy bäckt, sieht aus wie Matze und schmeckt noch schlechter. Setzei kann er wunderbar, Rührei gar nicht. Und wenn er weiche Eier kocht, singt er ein ganz bestimmtes Lied. Leider ist das Lied zu lang, und die Eier werden immer hart. Wie Du siehst, habe ich schon einen eigenen Boy. Er ist groß, natürlich schwarz (bitte mache Regina klar, daß nicht alle Menschen weiß sind) und heißt Owuor. Er lacht sehr viel, was mir bei meiner gegenwärtigen Unruhe guttut. Boys sind hier die Diener, aber es heißt gar nichts, wenn man einen Boy hat. Auf einer Farm hat man so viel Personal, wie man will. Du kannst also Deine Sorgen um ein Dienstmädchen sofort einstellen. Es leben hier sehr viele Menschen. Ich beneide sie, weil sie nicht wissen, was in der Welt geschieht und weil sie ihr Auskommen haben. Im nächsten Brief erzähle ich Dir mehr von Süßkind. Er ist ein Engel, fährt heute nach Nairobi und will die Post mitnehmen. Da gewinnt man mindestens eine Woche, und ein reger Briefwechsel ist für uns jetzt sehr wichtig. Wenn Du antwortest, numeriere Deine Briefe und schreib genau, auf welchen Du antwortest. Sonst kommt unser Leben noch mehr durcheinander, als es schon ist. Schreib, so bald Du kannst, an Vater und Liesel, und nimm ihnen die Angst um uns alle. Mein Herz zerspringt bei dem Gedanken, daß ich vielleicht schon sehr bald Dich und das Kind in die Arme schließen kann. Und es wird schwer, wenn ich daran denke, daß dieser Brief Deiner Mutter sehr weh tun wird. Nun bleibt ihr von ihren beiden Mädels nur noch eins, und wer weiß, wie lange. Aber Deine Mutter ist immer eine großartige Frau gewesen, und ich weiß, daß sie Dich und ihr Enkelkind lieber in Afrika weiß als in Breslau. Gib Regina einen dicken Kuß von mir und verpimple sie nicht. Arme Leute können sich keine Ärzte leisten. Ich kann mir denken, in welche Aufregung Dich dieser Brief stürzen wird, aber du mußt jetzt stark sein. Für uns alle. Es umarmt Dich voller Sehnsucht Dein alter Walter. P. S. Die Söhne von Mr. Rubens hätten Dir gefallen, richtig fesche Burschen. Wie früher bei uns in der Tanzstunde. Ich hielt sie alle für unverheiratet, habe jedoch später erfahren, daß ihre Frauen sich immer zum Bridge treffen, wenn es um uns Refugees geht. Das Thema hängt ihnen zum Hals heraus. Rongai, den 15. Februar 1938 Mein lieber Vater! Ich hoffe, Du hast inzwischen von Jettel Nachricht bekommen und somit erfahren, daß Dein Sohn Farmer geworden ist. Mutter hätte bestimmt gesagt 'schön, aber schwer', doch Besseres kann sich ein gelöschter Rechtsanwalt und Notar nicht wünschen. Heute früh habe ich bereits ein neugeborenes Kalb aus dem Bauch einer Kuh gezogen und es Sohrau getauft. Ich hätte lieber bei der Geburt eines Fohlens Hebamme gespielt, denn Reiten habe ich ja bei Dir schon gelernt, ehe Du des Kaisers Rock angezogen hast. Denk bloß nicht, daß es ein Fehler war, mich studieren zu lassen. Das scheint nur so im Augenblick. Wie lange mag es wohl dauern? Mein Chef, der nicht auf der Farm, sondern in Nairobi lebt, hat eine Menge Bücher im Schrank. Darunter die Encyclopaedia Britannica und ein lateinisches Wörterbuch. Ich könnte also hier in der Wildnis gar nicht Englisch lernen, wenn ich nicht Latein gelernt hätte. So aber kann ich mich bereits über Tische, Flüsse, Legionen und Kriege unterhalten und sogar sagen: 'Ich bin ein Mann ohne Heimat.' Leider klappt das nur in der Theorie, denn hier auf der Farm sind nur Schwarze, und die sprechen Suaheli und finden es furchtbar ulkig, daß ich sie nicht verstehe. Ich bin gerade dabei, im Konversationslexikon über Preußen nachzulesen. Wenn ich schon die Sprache nicht kann, muß ich mir ja Themen heraussuchen, die ich kenne. Du kannst Dir nicht vorstellen, wie lange die Tage auf so einer Farm sind, aber ich will nicht klagen. Ich bin dem Schicksal dankbar, besonders seitdem ich die Hoffnung habe, Regina und Jettel bald hier zu haben. Um Euch beide mache ich mir große Sorgen. Was ist, wenn die Deutschen in Polen einmarschieren? Die wird es nicht interessieren, daß Du und Liesel Deutsche geblieben seid und nicht für Polen optiert habt. Für die seid Ihr Juden, und glaub bloß nicht, daß Dir Deine Auszeichnungen aus dem Krieg etwas nutzen. Das haben wir ja nach 1933 erlebt. Andererseits dürftet Ihr, gerade weil Ihr nicht für Polen optiert habt, nicht unter die polnische Quote fallen, die ja überall die Auswanderung erschwert. Wenn Du das Hotel verkaufen würdest, könntest auch Du an Auswanderung denken. Vor allem für Liesel solltest Du es tun. Sie ist doch erst zweiunddreißig und hat bisher noch nichts vom Leben gehabt. Ich habe einem ehemaligen Bankier aus Berlin (er zählt jetzt Säcke auf einer Kaffeefarm) von Liesel erzählt und daß sie noch in Sohrau ist. Der meinte, ledige Frauen seien bei den hiesigen Einwanderungsbehörden gar nicht ungern gesehen. Vor allem kommen sie gut als Kindermädchen bei den reichen englischen Farmersfamilien unter. Hätte ich die hundert Pfund, um für Euch beide zu bürgen, würde ich Dich noch ganz anders zur Auswanderung drängen. Es ist aber schon mehr als eine Gnade, daß ich Jettel und das Kind nachholen kann. Vielleicht könntest Du Dich mal mit Rechtsanwalt Kammer in Leobschütz in Verbindung setzen. Der war bis zum Schluß hoch anständig zu mir. Als ich gelöscht wurde, sagte er mir zu, die Mandantengelder, die noch eingehen müßten, für mich in Verwahrung zu nehmen. Der würde Dir bestimmt helfen, wenn Du ihm erklärst, daß Du zwar immer noch ein Hotel, aber kein Geld hast. In Leobschütz weiß man ja, wie es den Deutschen in Polen all die Jahre ergangen ist. Erst hier, wo ich so allein mit meinen Gedanken bin, kommt mir so richtig zu Bewußtsein, daß ich mich viel zu wenig um Liesel gekümmert habe. Sie hätte mit ihrer Herzensgüte und Opferbereitschaft nach Mutters Tod einen besseren Bruder verdient. Und Du einen Sohn, der Dir beizeiten gedankt hätte für alles, was Du für ihn getan hast. Du brauchst mir wirklich nichts hierher zu schicken. Mit den freien Lebensmitteln von der Farm habe ich alles, was ich zum Leben brauche, und bin guter Hoffnung, daß ich eines Tages eine Stellung bekomme, bei der ich genug verdiene, um Regina zur Schule zu schicken (kostet hier enormes Geld, und Schulpflicht haben sie auch nicht). Über Rosensamen würde ich mich allerdings sehr freuen. Dann würden auf diesem gottverdammten Fleck Erde die gleichen Blumen blühen wie vor meinem Vaterhaus. Vielleicht kann mir Liesel auch ein Rezept für Sauerkraut schicken. Ich habe gehört, daß Kraut hier gedeihen soll. Es umarmt Euch beide in Liebe Euer Walter Rongai, den 27. Februar 1938 Meine liebe Jettel! Heute kam Dein Brief vom 17. Januar an. Er mußte mir erst aus Nairobi nachgeschickt werden. Daß das überhaupt klappt, ist ein Wunder. Du kannst Dir gar nicht vorstellen, was Entfernungen in diesem Land bedeuten. Von mir zur Nachbarfarm sind es fünfundfünfzig Kilometer, und Walter Süßkind ist auf den schlechten, teilweise verschlammten Straßen drei Stunden unterwegs zu mir. Trotzdem war er bisher jede Woche da, um mit mir Schabbes zu feiern. Er stammt aus einem frommen Haus. Er hat das Glück, daß ihm sein Chef ein Auto zur Verfügung gestellt hat. Meiner, Mr. Morrison, glaubt leider, daß seit der Wüstenwanderung alle Kinder Israels gut zu Fuß sind. Ich bin nicht mehr von der Farm weggekommen, seitdem mich Süßkind hierher gebracht hat. Leider gibt es keine Pferde. Der einzige Esel auf dieser Farm hat mich so oft abgeworfen, daß ich grün und blau war. Süßkind hat schrecklich gelacht und gesagt, afrikanische Esel könne man nicht reiten. Die ließen sich nicht für so dumm verkaufen wie die in deutschen Seebädern. Wenn du herkommst, wirst Du Dich auch daran gewöhnen müssen, daß es direkt ins Schlafzimmer regnet. Man stellt einfach einen Eimer auf und freut sich über das Wasser. Das ist nämlich kostbar. Vorige Woche hat es überall gebrannt. Ich war entsetzlich aufgeregt. Zum Glück war Süßkind gerade zu Besuch und hat mich über Buschfeuer aufgeklärt. Die gibt es hier immerzu. Es tut mir gut zu wissen, daß der größte Teil Deines Briefes überholt ist. Inzwischen wirst Du ja erfahren haben, daß Deine Tage in Breslau gezählt sind. Bei dem Gedanken, Euch beide hier zu haben, schlägt mein Herz wie einst im Mai, als wir uns eine große Zukunft ausmalten. Heute wissen wir beide, daß nur eines wichtig ist - das Davonkommen. Unbedingt weitermachen solltest Du mit Deinen Englischstunden, und es spielt wirklich keine Rolle, daß Dir der Lehrer nicht gefällt. Mit Spanisch kannst Du sofort aufhören. Das war doch nur für den Fall gedacht, daß wir Visa für Montevideo bekommen hätten. Um mit den Menschen auf der Farm zu reden, muß man Suaheli lernen. Da hat es der liebe Gott mal ausgesprochen gut mit uns gemeint. Suaheli ist eine sehr einfache Sprache. Ich konnte kein Wort, als ich nach Rongei kam, und jetzt bin ich schon soweit, daß ich mich leidlich mit Owuor verständigen kann. Er findet es wunderbar, wenn ich auf Gegenstände zeige und er mir dann die Dinge beim Namen nennen darf. Mich nennt er Bwana. So redet man hier die weißen Männer an. Du wirst die Memsahib sein (der Begriff wird nur für weiße Frauen gebraucht) und Regina das Toto. Das heißt Kind. Vielleicht kann ich bis zu meinem nächsten Brief schon genug Suaheli, um Owuor klarzumachen, daß ich die Suppe nicht gern nach dem Pudding esse. Pudding kann er übrigens wunderbar kochen. Beim erstenmal habe ich viele schmatzende Geräusche gemacht. Er hat zurückgeschmatzt, und seitdem kocht er jeden Tag den gleichen Pudding. Eigentlich müßte ich mehr lachen, aber es lacht sich nicht gut allein. Nachts schon gar nicht, wenn man sich nicht gegen die Erinnerungen wehren kann. Wenn ich bloß schon Nachricht von Dir hätte und ob Ihr Schiffskarten habt. Wer hätte je gedacht, daß es so wichtig werden könnte, aus der Heimat herauszukommen. Jetzt gehe ich zum Melken. Das heißt, ich sehe zu, während die Boys melken, und lerne die Namen der Kühe. Das lenkt ab. Schreib bitte sofort, wenn Du meine Briefe bekommst. Und versuche, Dich so wenig wie möglich aufzuregen. Du kannst sicher sein, daß meine Gedanken Tag und Nacht bei Euch sind. Einen dicken Kuß für Euch beide, Deine Mutter und Deine Schwester. Dein alter Walter Rongai, den 15. März 1938 Meine liebe Jettel! Heute kam Dein Brief vom 31. Januar. Er hat mich sehr traurig gemacht, weil ich Dir gar nicht helfen kann in Deiner Angst. Ich kann mir gut vorstellen, daß Du jetzt sehr viel Trauriges hörst, aber das müßte Dir auch zeigen, daß das Schicksal nicht nur uns getroffen hat. Es stimmt übrigens nicht, daß nur ich allein ausgewandert bin. Hier sind viele Männer, die erst versuchen wollen, eine Existenz zu schaffen, ehe sie die Familie nachholen, und die sind nun in der gleichen Lage wie ich - nur ohne das Glück, daß ein rettender Engel wie Rubens eingegriffen hat. Du mußt fest daran glauben, daß wir uns bald wiedersehen. Das sind wir dem lieben Gott schuldig. Es hat auch keinen Zweck, darüber zu grübeln, ob wir besser nach Holland oder nach Frankreich gegangen wären. Wir hatten ja gar keine Wahl mehr, und wer weiß, wozu es gut ist. Es ist nicht mehr wichtig, daß sie Regina nicht in dem Kindergarten nehmen wollen. Und es spielt auch keine Rolle für unser ferneres Glück, daß Dich Leute nicht mehr grüßen, die Du seit Jahren kennst. Du mußt jetzt wirklich lernen, Unwichtiges von Wichtigem zu unterscheiden. Unser Leben nimmt keine Rücksicht mehr darauf, daß Du als verwöhnte höhere Tochter aufgewachsen bist. In der Emigration zählt nicht das, was man war, sondern nur, daß Mann und Frau am selben Strang ziehen. Ich bin sicher, daß wir es schaffen. Wenn du nur schon hier wärst und wir damit beginnen könnten. Einen ganz dicken Kuß für Euch beide Dein alter Walter