Das Bekenntnis zu Mehrsprachigkeit als bereicherndem kulturellem Kapital kommt vielen Europäern recht leicht über die Lippen. Gleiches gilt für die Politik. Schaut man etwas genauer hin, stellt sich rasch heraus, dass die meisten Befürworter dabei an Bildungsmehrsprachigkeit denken, an den Kanon der großen internationalen Verkehrssprachen, die der schulische Fremdsprachenunterricht vermittelt, an Englisch, Französisch, Italienisch, heute mehr und mehr auch an Spanisch. Weit weniger denken sie dabei an Formen konkret gelebter innerstaatlicher Mehrsprachigkeit, an die Begegnung zwischen der Staatssprache auf der einen und Regional-, Migranten- und Nachbarsprachen auf der anderen Seite, die aber gleichwohl alltägliche Praxis sind. Auch sie gutzuheißen und ihre schulische und soziale Präsenz zu fördern, fällt vielen Menschen deutlich schwerer. Wie vielfältig entsprechend die Herausforderungen sind, denen sich die Umsetzung innerstaatlicher Mehrsprachigkeit gegenübersieht, ist Gegenstand des vorliegenden Buches, das auf der Basis einer bereits langjährigen, fruchtbaren Zusammenarbeit zwischen MitarbeiterInnen des Instituts für Sprachwissenschaft der Universität Bratislava und des Instituts für Romanistik der Universität Wien entstanden ist.
Peter Cichon Book order






- 2009
- 2006
Gelebte Mehrsprachigkeit
- 183 pages
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Mehrsprachigkeit ist ein wertvoller Bestandteil unseres kulturellen Kapitals und ihre gesellschaftliche Förderung eine gewinnbringende Investition in die Zukunft. Ignoriert man die bestehende Pluralität von Sprachen und Kulturen, können soziale Verwerfungen entstehen, deren spätere Behebung oft teurer ist als eine rechtzeitige Integration in die Entwicklungspläne. Individuelle und soziale Mehrsprachigkeit funktionieren in der Regel komplementär und asymmetrisch, sodass ein quantitativ und qualitativ gleichwertiges Nebeneinander von Sprachen selten vorkommt. In einer Gemeinschaft gibt es meist eine Mehrheitssprache, die auch Amtssprache ist, und mehrere Sprachen mit eingeschränktem Funktionsradius. Diese benötigen in einer offenen, demokratischen Gesellschaft besondere Rücksichtnahme. Nachhaltige Mehrsprachigkeit kann nur als Gemeinschaftsprojekt gelingen. Drei gesellschaftliche Gruppen müssen zusammenarbeiten, um den Status, das Prestige und die Praxis der einzelnen Sprachen auf hohem Niveau zu halten: die Politik, die die erforderlichen administrativen und schulischen Infrastrukturen aufbaut; die (Mehrheits-)Gesellschaft, die einen Diskurs führt, der kulturelle Toleranz fördert; und die Sprecher weniger präsenter Sprachen, die für eine hochsprachliche Norm und ein gefestigtes Sprachbewusstsein sorgen, damit ihre Sprache im kulturellen Austausch gehört wird.