Dies ist tatsächlich ein Familienroman ganz anderer Art. Mit unerhörter Wucht stellt Peer Hultberg ihn mitten unter die zahllosen Beispiele unserer Tage, in denen sich das Drama Familie im Anekdotischen auflöst. Gleich auf den ersten Seiten, als Rudolf Loften seine Wohnung verläßt, sich umblickend, als fürchte er, entdeckt zu werden, ahnt man die ständige Bereitschaft zur Katastrophe. Dabei will er doch nur etwas kaufen. Etwas? Eine Flasche halt, vielleicht auch zwei, warum nicht? Darum nicht, meint seine Schwester Brigit, die ihn zufällig trifft, nein, nicht trifft, die ihn ertappt, im Park, nachdem er die erste Flasche geöffnet und ein paar gute Schlucke genommen hat, er, ihr großer Bruder, der sich doch immer nur für seine griechischen Verben interessiert hat. Hat er? Und sie selbst, die allein lebende Klavierlehrerin, die da auf den Besuch ihres Ehemaligen wartet? Und Kit, die Dritte, die so gut Situierte, warum zieht sie sich so auffällig an, als sie am Abend unauffällig ihr Haus verläßt? Und was ist mit den Eltern, warum wartet ihr Vater im unteren Stockwerk, warum geht er nicht hinauf zu seiner kranken Frau? Sie alle gehen ihre Wege, tun, das sie meinen, tun zu wollen, getrieben von etwas, was ihnen im Nacken sitzt, von einander weg und doch auf einander zu. Es ist an der Zeit, Peer Hultberg als den großen europäischen Autor wahrzunehmen, der er seit langem ist.
Peer Hultberg Books






Zwei Bücher, ein Leben – dies ist gewiss eines der ungewöhnlichsten Selbstzeugnisse der europäischen Literatur der letzten Jahrzehnte: Peer Hultberg, einer der großen Menschenerzähler Dänemarks, hat in zwei nahezu gleichzeitig entstandenen Büchern versucht, seiner Existenz auf den Grund zu gehen, um herauszufinden, woher er kam und wie er wurde, der er war. Das eine ist eine Selbstbiografie, die so gar nicht als der stolze Bericht über Geleistetes daherkommt, sondern gedacht und geschrieben ist als ein präzises und unerbittliches Selbstgespräch. Das adoptierte Kind gutbürgerlicher Eltern, der gute Schüler mit seinen rätselhaften Einsamkeitsgefühlen, der Heranwachsende, der seinen Körper zu begreifen versucht und merkt, dass er sich sexuell anders orientiert, als die Eltern es wollen müssen. Das zweite Buch ist ein Brief an die Mutter, der begonnen wurde auf dem Rückweg von ihrer Beerdigung. Für eine Abrechnung scheint es noch zu früh, aber die Mutter-Sohn-Konventionen lösen sich bereits auf. Zwischen der Strenge des Urteils, dem Wunsch, nicht zu verletzen, und der Notwendigkeit, es doch zu tun, und sei es sich selbst, bewegt sich dieser Brief an die tote Mutter.
Hundert knapp geschilderte Viborger Menschenschicksale lassen das Leben in der modernen Stadt plastisch werden.