Wie hat man im Mittelalter über Codices gedacht und gesprochen? Dieser Band widmet sich der Handschriftenkultur des Mittelalters, ihrer Materialität und kodikalen Praxis, ihren signifikanten Unterschieden zur Welt des gedruckten Buchs. Aus einer Tagung des Mittelalter-Komitees der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel entstanden, versammelt er Beiträge renommierter Historiker, Literatur- und Sprachwissenschaftler. Zentral ist der Begriff der Kodikalität: Er umfasst erstens das Materielle, den Körper des Codex mit seinen visuellen und haptischen Aspekten, zweitens das Auratische, sakral aufgeladene Magische, drittens die hermeneutische und geltungsrelevante Dimension der Texte. In den Beiträgen des Sammelbands werden subtile Diskursfelder wie etwa die Besitzvermerke, Glossen und Kolophone erschlossen und für einen europäischen Überblick genutzt, wobei auch Herstellungsformen des Codex sowie die Geschichte der wissenschaftlichen Kodikologie betrachtet werden. Handschriften mit literarischen und prophetisch mystischen Texten und ihren existenziellen und metaphorischen Bucherfahrungen werden neben Codices der pragmatischen Schriftlichkeit, des Verwaltungsschriftguts von Städten und Universitäten untersucht. Bei den Renaissance-Humanisten nimmt das Sprechen über Codices zu, mit denen man Intimität bis zum Fetischismus zelebrierte. Dies findet auch in der Rede und Zitierkultur humanistischer Universitätslehrer ihren kodikalen Niederschlag. Der Band leistet einen wesentlichen Beitrag zur Kenntnis der Schriftkultur des Mittelalters und der Renaissance.
Thomas Haye Books



Päpste und Poeten
Die mittelalterliche Kurie als Objekt und Förderer panegyrischer Dichtung
- 326 pages
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Während des Mittelalters ist die päpstliche Kurie innerhalb Europas die wichtigste Adresse der gelehrten lateinischen Dichtung. Vielfach unaufgefordert, wenden sich die Autoren mit ihren Werken an den apostolischen Stuhl, sie widmen einzelnen Päpsten ihre Schriften und verherrlichen sie in Lobgedichten. Im vorliegenden Buch wird für den Zeitraum vom 6. bis zum frühen 15. Jahrhundert untersucht, welche Erwartungen und Ziele mit dieser Dichtung verbunden waren und inwieweit die Kurie – etwa durch materielle oder soziale Förderung der Autoren – auf das poetische Angebot reagiert hat. Dabei werden auch die Kommunikationswege, die Aufführungsorte und die Inszenierungsmodi dieser panegyrischen Poesie herausgearbeitet.
Frühhumanismus in Deutschland
Eine Geschichte der lateinischen Poesie im 15. Jahrhundert
Die vorliegende Literaturgeschichte bietet einen Überblick über die lateinische Dichtung im Deutschland des 15. Jahrhunderts und stellt bisher weniger bekannte Texte in den Kontext literaturhistorischer Narrative. Im Fokus steht der Frühhumanismus, der sich über die Dichtung definiert. Zudem werden die Grundlagen der poetischen Ausbildung, die Rolle der Dichtung an Schulen und Universitäten sowie zentrale Themen und Texttypen systematisch untersucht. Die enge Verbindung zwischen der lateinischen Poesie und der zeitgleich entstehenden deutschsprachigen Dichtung spricht sowohl latinistische als auch germanistische Leser an. Besonders hervorzuheben ist die Dichtung Petremols, die hier erstmals ediert und durch Einleitung und Kommentar erschlossen wird. Sie zeigt die Vielfalt der nachantiken lateinischen Epik und ist ein frühes Beispiel für die kreative Rezeption des griechischen Autors Diodor von Sizilien sowie für die Übersetzungsleistung italienischer Humanisten wie Poggio Bracciolini. Zudem überrascht das Werk durch seine positive Darstellung der verfemten Semiramis und seinen kunstvollen Stil. Petremols' Werk wirft Fragen zur Rezeption griechischer Literatur im lateinischen Westen, zu Abweichungen von traditionellen literarischen Geschlechterzuschreibungen und zur Möglichkeit eines lateinischen Manierismus auf.