Neugotischer Kirchenbau in München
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Der Rückgriff auf historische Bau- und Ausstattungsstile im 19. Jahrhundert war von Anbeginn verbunden mit der Diskussion um den angemessenen Zusammenhang von Funktion und Stil eines Bauwerks. Neugotik als Baustil für Kirchen ist deshalb nur erfaßbar im Kontext mit den außerkünstlerischen Wertvorstellungen, die als Grund für die Wiederbelebung der gotischen Formensprache hinter den Bemühungen stehen, die Gotik zur Vollendung zu bringen. Thema der Arbeit ist deshalb nicht allein die Stilanalyse, die einen Überblick über die formalen Grundlagen ermöglicht, sondern auch eine Auseinandersetzung mit der Absicht der Auftraggeber und Architekten, gegen die faktischen Entwicklungen der eigenen Zeit die Werte eines idealisierten Mittelalters als Vorbild zu beschwören. Der sogenannte „altteutsche“ Stil wurde zum Ausdruck einer gesellschaftspolitischen Einstellung und sollte als nationaler, christlicher Stil erzieherisch wirken. Der Vergleich der Maria.-Hilf-Kirche in Giesing zeigt, wie ausgeprägt verschieden dieser Rückgriff auf denselben Stil ausgefallen ist. Gerade im Verhältnis von Architektur und stileinheitlich geforderter Ausstattung wird der Zwiespalt zwischen historisch getreuer Nachahmung und historisch bedingtem Anliegen sichtbar. Während für die Architektur die Vollendung des gotischen Stils in enger Anlehnung an die Vorbilder gesucht wurde, versuchte man in Plastik und Malerei zwar die Geistigkeit des Mittelalters wieder lebendig werden zu lassen, aber mit formalen Anleihen aus späteren Epochen. Dieser Zwiespalt enthält – auch nach Ansicht mancher Zeitgenossen – oftmals das Scheitern: Die neugotischen Kirchenbauten sind weniger Ausdruck des ersehnten Zustandes als des tatsächlichen.