Aus der Judengasse
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Die Arbeit unternimmt erstmals den Versuch, die Entstehung und Ausprägung deutschsprachiger Ghettoliteratur vornehmlich des 19. Jahrhunderts unter bewußter Aussparung jiddischer Texte in einem größeren literarhistorischen Kontext darzustellen. Der Begriff 'deutschsprachige Ghettoliteratur' verweist dennoch primär auf einen grenzüberschreitenden Charakter des Genres, denn im Verlauf des o. g. Zeitraums wurden Ghettoerzählungen im gesamten deutschen Sprachraum publiziert, der sich in dieser Epoche bis weit nach Osteuropa hinein erstreckte. Literaturhistorisch steht dieses spezifisch jüdische Genre im Zusammenhang mit der sich seit den 1830er Jahren entwickelnden Regionalliteratur und deren Trivialisierung und fand im Gegensatz zur gleichfalls regional geprägten Dorfgeschichte daher primär jüdische Leser. Die lokalen Akzente waren dabei durchaus unterschiedlich: zu verschieden waren die historischen Erfahrungen der Autoren, die in Deutschland vorwiegend aus den preußisch besetzten Gebieten Polens stammten und in den böhmischen Ländern der Habsburgermonarchie naturgemäß andere Bedingungen vorfanden als in Galizien, in dem sich die jüdische Aufklärung nur sehr langsam verbreiten konnte. So ist das Genre jenseits seines Stellenwertes in der Literaturgeschichte immer auch ein wichtiges Zeugnis der höchst unterschiedlichen Entwicklung des mitteleuropäischen Judentums in Bezug auf Fragen der Emanzipation und Akkulturation, auf die sich auch die innerjüdischen Debatten über Fragen religiöser Reform beziehen. Aus jüdischer Sicht wurde das Genre auf diese Weise fast ausschließlich als Artikulationsphänomen der jüdischen Emanzipations- und Akkulturationsepoche gewertet und stellt sich heute damit gleichsam als literarische Antwort jüdischer Autoren auf die zentrale Frage nach den Möglichkeiten jüdischer Emanzipation und Identität im 19. Jahrhundert dar.