Das Jüngste Gericht
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Gerichtsbilder sind erst verhältnismäßig spät nachweisbar: In der byzantinischen Kunst verbreitete sich das Thema seit dem 9. Jh.; Ende des 11. Jh. hatte sich ein bestimmter Typus herausgebildet. Wesentlich komplexer sind die Darstellungen im Westen, wo das Thema an den Portalen der gotischen Kathedralen, in den Wandgemälden Italiens in der ersten Hälfte des 14. Jh. - wie in Giottos Weltgericht in Padua - und in den Altarbildern des 15. Jh. seine Vollendung fand. Yves Christe veranschaulicht die Entwicklung der Darstellung in der Vielfalt der Motive vor dem Hintergrund ideengeschichtlicher Entwicklungen und eines langen Prozesses exegetisch-theologischer Reflexionen, wie sie in vielen Quellentexten Ausdruck finden. So wandelt sich die Gestalt des thronenden Richters: Der Unerschütterlichkeit und beängstigenden Strenge der Gotteserscheinungen aus der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts stellt die gotische Welt die gelassene Zuversicht einer vermenschlichten Sicht entgegen. Der Weltenrichter wird zum Erlöser; in Begleitung der die Leidenswerkzeuge zur Schau stellenden Engel weist er seine Wundmale vor. Die sich wandelnde inhaltliche Akzentuierung kommt aber auch in der Vielfalt anderer Motive zum Tragen: der Deesis, den Beisitzern des Gerichts, der Seelenwägung und Scheidung in Gut und Böse, der Darstellung von Paradies und Hölle mit dem phantasiereichen Repertoire von Höllenstrafen und -qualen, die sich nicht selten durch einen genüsslichen Realismus auszeichnen. Wandel und Besonderheiten der Ikonographie werden dem Leser und Betrachter vor Augen geführt, wobei der opulente Bildteil Gerichtsdarstellungen erlesener Kunstwerke der Buchmalerei und Elfenbeinschnitzerei, der monumentalen Skulptur ebenso wie der Mosaikkunst, der Glas- und Wandmalerei eindrucksvoll vergegenwärtigt. Der Autor ist seit 1984 ordentlicher Professor für mittelalterliche Kunstgeschichte an der Universität Genf. Gegenstand seiner Forschungen sind u. a. die Ikonographie mittelalterlicher