Vom "Günstling" zum "Urfeind" der Juden
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War Friedrich Nietzsche ein „Anti-Antisemit“ oder ein geistiger Wegbereiter des Holocaust? Diese Frage wird innerhalb der Forschung nach wie vor kontrovers diskutiert. Thomas Mittmann legt mit seinem Buch eine längst überfällige Geschichte der antisemitischen Nietzsche-Rezeption in Deutschland vom Kaiserreich bis zum Ende des Dritten Reiches vor. Dabei richtet sich sein Interesse einerseits auf Nietzsches Verhältnis zum Judentum, zur jüdischen Religion und zu einzelnen Juden sowie auf seine Haltung zum Antisemitismus seiner Zeit. Andererseits rekonstruiert er anhand umfangreichen Quellenmaterials und unveröffentlichter Dokumente zum nationalen, sozialen, religiösen und rassischen Antisemitismus die Entwicklung der Nietzsche-Rezeption innerhalb verschiedener antijüdischer Diskurse. Dabei wird deutlich, daß der Philosoph trotz seiner Ablehnung der zeitgenössischen Judengegner eine neue, weitreichendere Kritik des Judentums formuliert hat, über die der konventionelle Antisemitismus, der vor der Jahrhundertwende in eine Strategie- und Mobilisierungskrise geraten war, auf einer radikaleren Ebene revitalisiert wurde. Mittmann zeigt, wie der von Nietzsches Vorstellungen seit den neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts ausgehende starke Impuls auf nahezu alle kulturelle Lebensbereiche zu einer erheblichen Radikalisierung antisemitischer Diskurse vom Kaiserreich bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges beigetragen hat und inwieweit der Rekurs auf Vorstellungen des Philosophen auch der Legitimierung des Völkermords an den europäischen Juden diente. Nietzsche gebührt ein besonderes Kapitel in der Ideengeschichte des „modernen“ Antisemitismus, eine Erkenntnis, die auch zu einer generellen Neubestimmung der Rolle des Philosophen innerhalb der Vorgeschichte des Nationalsozialismus nötigt.