"Nemo tenetur se ipsum prodere" und Steuererklärungspflicht
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'Darf der Beschuldigte eines anhängigen Steuerstrafverfahrens seine Steuererklärungspflicht mißachten?' Ist ein Steuerstrafverfahren wegen des Vorwurfs der Hinterziehung periodischer Veranlagungs- und Fälligkeitssteuern anhängig, können das Prinzip 'nemo tenetur se ipsum prodere' und die parallel verlaufende Steuererklärungspflicht mit ihren konträren Inhalten kollidieren. Während das unmittelbar aus der Menschenwürde abgeleitete Prinzip 'nemo tenetur se ipsum prodere' dem Beschuldigten absoluten Schutz vor kommunikativer 'Eigen'belastung im Strafverfahren gewährt, verpflichtet ihn die Steuererklärungspflicht – abgesichert durch den Straftatbestand der Steuerhinterziehung und das Steuerverfahrensrecht – zur umfassenden, wahrheitsgetreuen Informationsweitergabe für fiskalische Zwecke. Die vorliegende Untersuchung zeigt auf, dass die derzeitige gesetzliche Regelung der Abgabenordnung den Konflikt vor dem verfassungsrechtlichen Hintergund des Prinzips 'nemo tenetur se ipsum prodere' nicht ausreichend entschärfen kann. Vielmehr zwingt die hinter dem Prinzip 'nemo tenetur se ipsum prodere' stehende, unantastbare Menschenwürde zu einer verfassungskonformen Reduktion des Tatbestands der Steuerhinterziehung in § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO. Im Einklang mit grundrechtlichen Wertentscheidungen ist innerhalb bestimmter Grenzen daher die Nichtabgabe von Steuererklärungen straffrei zu stellen.