Gespaltene Moderne
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Diese Studie untersucht Konstruktionen deutscher nationaler und bürgerlicher Identität und deren Zusammenhang mit der Entwicklung des modernen Antisemitismus anhand einer Neulektüre von Gustav Freytags Soll und Haben (1855), eines der meistgelesenen Romane der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, einflußreich noch bis in die bundesdeutsche Nachkriegszeit. Die nationalen, kolonialen, ständischen, rassisch/ethnischen und Gechlechterdiskurse, die der Roman entwickelt, erweisen sich in dieser umfassenden Analyse als Manifestationen einer zutiefst ambivalenten Reaktion auf die Erfahrung gesellschaftlicher und ökonomischer Modernisierung. Der Roman entwirft das Bild einer spezifisch deutschen, ‚versöhnten‘ Moderne, in der die Fragmentierung der bürgerlichen Gesellschaft und die Abstraktheit gesellschaftlicher Vermittlung aufgehoben scheinen durch „deutsche Arbeit“ als konkrete, produktive, moralisch bestimmte Aktivität. Ermöglicht wird dieser Entwurf einer nationalen Moderne unter anderem durch die Projektion aller bedrohlichen, konflikthaften und abstrakten Züge der kapitalistischen Gesellschaft auf die jüdischen Figuren des Romans. Diese Untersuchung zeigt, dass sich die politischen und gesellschaftlichen Belange des Romans und die prinzipielle Frage nach der literarischen Darstellbarkeit der modernen Gesellschaft auch in der narrativen Form des Texts und in den ästhetischen Debatten der Zeit wiedererkennen lassen.