Blast of silence
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Echtes Schweigen gab es früher in Museen. Ein Kunstwerk durftest du nicht stören. Es hatte eine Aura. Und dann, manchmal, wenn du für einen Moment die Deckung vernachlässigt hattest, machte das Ding an der Wand: peng! Da lagst du mit gebrochenen Augen auf dem Boden und wusstest: Diesen Job hat ein Profi erledigt. / Verbrecher werden völlig zurecht mindestens seit Moriarty bei Sherlock Holmes als Künstler betrachtet. Der Film Blast of Silence von 1961 jedoch ist eine frühe, überzeugende Studie einer ungemütlichen Unterkategorie: der Killer als Künstler. Einer der Schweigen erschafft. Überzeugend allerdings nur, sofern man daran glaubt, dass Effizienz und eine Sinngerichtetheit, die käuflich ist, wahre Kunstfertigkeit bedeuten. Wenn man die Marktmechanismen so betrachtet, ist das vermutlich nicht weit daneben. / Heute sind die wahren Künstler Wissenschaftler. Sie sind viel effizientere Schöpfer als Gott selbst, sie basteln Leben und kassieren die Urheberrechte. Sie stopfen das letzte Loch im Universum mit dunkler Materie und statt der stillen, unergründlichen Unendlichkeit des Sternenhimmels – wo Marsmenschen leben und der Mann im Mond – geben sie uns das Bild einer schweigenden Explosion, den Urknall, ein System, das sich seit Ewigkeiten viel zu schnell ausdehnt, um den Knall jemals zu hören, mit dem es hochgeht. Die leeren Straßen, die Vögel auf der Leitung, sie explodieren ohne etwas zu merken. Bevor sie auch nur existieren. Ganz leise. / Meistens entsteht Kunst aber aus Kunst. Denken wir dabei eher an Generationszyklen als an Recycling. Rudolf Reiber kommt nämlich aus einer Generation, die sich über ihre Selbstreflexivität schon gar keine Gedanken mehr machen muss (sic!). Also entwirft Michelangelo Tapeten, ein Baugerüst entsteht in der Form einer frühchristlichen Basilika, also wird – und hier ist vielleicht eine Keimzelle des Werks, bevor es in die Welt wachsen konnte – aus einer Ecke völlig leerer Galeriewand die genaueste Übersetzung von 4'33'', John Cages schweigender Komposition, in Skulptur, die man sich vorstellen kann. Der ganze Kulturbetriebszusammenhang bleibt in beiden Fällen unversehrt erhalten, und dadurch hat man diese unnatürliche Konzentration auf die subtilen Eigenheiten einer Kulisse im Rampenlicht. / Diese Konzentration funktioniert wie ein Verstärker. Da ist ein kleiner Anlass, ein kaum wahrnehmbares Detail, der Künstler zieht es groß und plötzlich explodiert es in Bedeutungen, mit jeder Menge konnotativer Querschläger. Hinter fast jedem Werk steckt eine Idee, die man erzählen kann, und die in diesem Buch auch erzählt wird. Eine Vielzahl von Stimmen, die den stillen Kern herausmodelliert, und am Ende behält die Kunst das letzte Schweigen.
Parameters
- ISBN
- 9783931485863