Anreden, Erwidern, Verstehen
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Anreden, Erwidern, Verstehen Psycholinguistik der Alterität ist der Entwurf einer Psycholinguistik, die Sprache nicht als Objekt kognitiver Verarbeitung ansieht, sondern als Mittel des Auskommens mit dem Anderen, dem Selbst und der Welt. Sprache ist damit situiert in der Lebenstätigkeit von aufeinander bezogenen, gesellschaftlichen Individuen, weder von ihnen noch von ihrer Tätigkeit ablösbar. Diese Auffassung von Sprache wird zunächst in einer historischen Studie konstruiert, welche der Sprachphilosophie Humboldts und ihre Rezeption durch die russische und dann sowjetische Sprachwissenschaft nachzeichnet (Potebnja, Jakubinskij). Die Dialogizität als Struktur notwendiger Anrede und Erwiderung ist das zentrale Konzept, das in Osteuropa aufgenommen und weiterentwickelt wird. Diese spezifische Weise Spache zu denken und zu erforschen bildet nicht zuletzt den Kontext für die sprachpsychologischen Forschungen Vygotskijs, sie ist Bezug für seine Überlegungen zur psychischen sprachlichen Tätigkeit. Dies findet seinen Niederschlag etwa im Konzept des inneren Sprechens – ein Echo der Humboldt'schen inneren Form. Humboldt'sche Sprachphilosophie, dialogische Sprachwissenschaft und Sprachphilosophie mit Bachtin und Vološinov, Sprachpsychologie in der Perspektive gesellschaftlicher Tätigkeit mit Vygotskij: Auf dieser Grundlage wird im zweiten Teil die Psycholinguistik der Alterität theoretisch ausformuliert. Unter Bezugnahme auf Bühlers Sprachtheorie werden im ersten Konstruktionsmoment sieben Leitsätze aufgestellt. Im zweiten Konstruktionsmoment werden die Elemente im engeren Sinn entfaltet. Es sind jene Begriffe, die sich aus dem ersten Konstruktionsmoment als zentrale Themen erwiesen haben: Adressivität und Positionierung, Form, Widerholung und Zeitlichkeit, Stimme. Diese Elemente konkretisieren die theoretische Sprachansicht, ihre Entfaltung stützt sich wesentlich auf empirische Forschungen u. a. der Entwicklungspsychologie, Identitätspsychologie, Dialoganalyse und Gesprächsforschung. Die versteht sich auch als Plädoyer für einen Perspektivenwechsel in den Humanwissenschaften: Von dem „ichigen" Subjekt, das unserer abendländischen Konvention entspricht, hin zu einem relationalen Selbst, für das Alterität bestimmend ist. Von einem isolierten und a-historischen Subjekt zu einem bezogenen und gerichteten Selbst, das mit Anderen in gemeinsamen Zeiten und Räumen lebt. Diese alternative Vorstellung wird als vielversprechende Möglichkeit angesehen, die komplexen Dynamiken menschlichen Lebens zu erforschen und zu verstehen.