Über die Bedeutung geistiger Aktivität für den Erhalt der kognitiven Leistungsfähigkeit und über Chancen der Kompensation fluider Vor-Alternseffekte im Erwerbsalter
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Gesellschaftspolitisch stellen Langzeitarbeitslosigkeit als Massenphänomen und der demografische Wandel zwei zentrale Herausforderungen unserer Zeit dar. Die Erhaltung der kognitiven Leistungsfähigkeit über die Spanne der Erwerbstätigkeit ist dabei von entscheidender Bedeutung - sowohl im Hinblick auf die Erwerbsbevölkerung im Allgemeinen als auch hinsichtlich der von Langzeitarbeitslosigkeit Betroffenen im Besonderen. Die Studie lässt sich an der Schnittstelle zwischen Kognitions- und Intelligenzstrukturforschung, der Erforschung der kognitiven Entwicklung im Erwachsenenalter sowie der Arbeitslosigkeitsforschung verorten. Im Fokus steht die Untersuchung arbeitslosigkeitskorrelierter fluider Leistungseinbußen (Frese & Mohr, 1978; Hacker, 2003, 2006) und der Abgrenzung der Hypothese arbeitslosigkeitsinduzierten Vor-Alterns nach Hacker (2003, 2006) von der Disuse-Hypothese (Lehr, 1977, 1988; Warr, 1998, 2001), indem Zusammenhänge zwischen den empirisch mittels I-S-T 2000 R (erw., Liepmann et al., 2007) erfassten Ausprägungen der fluiden und kristallisierten Intelligenz nach Cattell (1963, 1987) und der Dauer der Langzeitarbeitslosigkeit überprüft wurden. Den Ausgangspunkt bildet eine querschnittliche Datenbasis von über 4500 Langzeitarbeitslosen, die an einem vierwöchigen, berufsbezogenen Aktivierungsprogramm teilgenommen haben. Konform mit beiden Hypothesen zeigt sich eine altersnormierte linkssteile Verteilung der fluiden und kristallisierten Leistungen mit einer durchschnittlichen Abweichung von der Normalverteilung von jeweils ca. 10 IQ-Punkten. Mittels des I-S-T 2000 R (erw., Liepmann et al., 2007) sowie eines weiteren Intelligenztests ließen sich außerdem jeweils kleine statistisch bedeutsame negative Zusammenhänge zwischen der Dauer der Arbeitslosigkeit und den fluiden Leistungen feststellen und in der Kontrollerhebung mittels des I-S-T 2000 R (erw.) ab einer Dauer der Arbeitslosigkeit von 5 Jahren replizieren, so dass die Querschnittsbefunde theoriegeleitet als erste Schätzung für kausal angenommene Wirksysteme (vgl. Baltes, Mayer, Helmchen & Steinhagen-Tiessen, 2010) arbeitslosigkeitsinduzierter fluider Einbußen interpretiert werden können. Demgegenüber zeigen sich in der bildungsfernen Stichprobe keine eindeutigen Belege für arbeitslosigkeitskorrelierte kristallisierte Einbußen gemäß der Disuse-Hypothese. Multiple Regressionsanalysen lassen den vorsichtigen Schluss zu, dass die fluide Leistungsfähigkeit Langzeitarbeitsloser durch die Wirkung bzw. das Fehlen von Schutzfaktoren eines neuroprotektiven Lebensstils mediiert wird. Die Ergebnisse der Untersuchung von Treatment-Effekten sprechen für die Reaktivierbarkeit fluider Lern- und Leistungsressourcen, einhergehend mit einer signifikanten Steigerung der Selbstwirksamkeitserwartung (Schwarzer & Jerusalem, 1999) infolge des Treatments.