Kindertransporte - überlebt, aber nicht überwunden
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Mit den sogenannten Kindertransporten gelangten in den Monaten nach dem Novemberpogrom 1938 etwa 10.000 jüdische Kinder aus dem Deutschen Reich und den von ihm besetzten Gebieten zumeist nach Großbritannien, aber auch in andere Länder, die sich zu ihrer Aufnahme bereit erklärt hatten. Ohne ihre Eltern, aufgenommen in Heimen oder Gastfamilien, mussten sie in einem fremden Land, mit einer fremden Sprache zurecht kommen. Die allermeisten von ihnen waren die einzigen Überlebenden ihrer Familien, sie sahen ihre Eltern nie wieder. Auch aus der Dürener Region sind damals jüdische Kinder mit solchen Transporten gerettet worden. Allerdings ist dieser Aspekt unserer lokalen Geschichte noch überhaupt nicht erforscht. Daher kann man es nur als unglaublichen Glücksfall bezeichnen, dass dem Geschichtsverein Drove-Boich-Thum jetzt aus dem Nachlass der ehemaligen Droverin Helga Leiser ein Konvolut von Briefen übergeben wurde, die zwischen ihr und ihren Eltern sowie anderen Bekannten und Verwandten gewechselt wurden. Helga Leiser war im Juni 1939 mit einem Kindertransport nach England gekommen und schildert in bewegenden Briefen ihr Schicksal dort, aber auch ihre Sehnsucht nach den Eltern, den Verwandten und Freunden aus Drove. „Es ist ein furchtbares Gefühl, ich lebe hier wie im Schlaraffenland ... wann kommt ihr endlich nach?“, schreibt die vierzehnjährige Helga Leiser sinngemäß immer wieder seit Juni 1939 aus England an ihre Eltern. „Liebes gutes Hümmelchen, wir kommen wieder nicht zum Reisen ...“, antworten die Eltern stets aus Drove oder: „Habe Geduld, Gott hilft“ und „Wir warten noch auf Bürgschaft.“ Was für eine unglaubliche seelische Belastung für alle, und was für ein Terror! In England die Tochter Helga in Sicherheit, aber elternlos, zu früh und brutal erwachsen geworden. Und hier in Drove die Eltern Isidor und Billa und die Tanten Jutta und Selma in ständiger Gefahr, den mordenden Nazis nicht mehr entfliehen zu können. Sehnsucht und Sorge auf beiden Seiten und die Hoffnung, dass doch alles gut wird. All das liest sich in den Briefen, die von 1939 bis 1942 zwischen Helga Leiser in England und ihren Eltern Isidor und Billa Leiser in Drove hin und her gingen, bis diese in das Ghetto in Izbica deportiert und schließlich ermordet wurden. In diesem Drover heimatgeschichtlichen Band werden der größte Teil der mehr als 300 Briefe veröffentlicht, die die Eltern, Verwandte, Nachbarn und Freunde an Helga geschrieben haben. Das einzigartige Material, das der Geschichtsverein Drove von einer Nichte Helgas, Mimi Rose aus Amerika, vermittelt durch Stefan Kahlen, erhalten hat, bildet den Mittelpunkt dieses Buches. Das Ergebnis ist eine bewegende, aber nicht sentimentale Lektüre, die den Holocaust aus einem völlig anderen Blickwinkel zeigt.