Katakomben der Seele
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Ré Soupault verfasste 1950 ihre letzte Fotoreportage - in den 1930er/40er Jahren hatte sie für französische Zeitungen Bildreportagen gemacht - unter dem Titel „Westdeutschlands Vertriebenen- und Flüchtlingsproblem“. Seit 1928 in Frankreich lebend, war sie 1938 mit ihrem Mann Philippe Soupault nach Tunis gekommen. Von dort konnten beide im November 1942 vor General Rommels Nazitruppen, die schon den Flugplatz von Tunis bombardierten, in letzter Sekunde mit dem letzten Autobus, der Tunis verließ, fliehen. Ré und Philippe erreichten Algerien, von dort gelangten sie später über Marokko in die USA. Nach Kriegsende lebte Ré Soupault in New York und verdiente ihr Leben mit Zeichnungen und Reiseberichten. Nach ihrer Rückkehr aus New York lebte sie ab 1948 in der Schweiz und arbeitete als Übersetzerin und Journalistin. Unter großen Schwierigkeiten erstand sie Ende der 1940er Jahre auf dem Schwarzmarkt in Berlin für 25 Stangen amerikanischer Zigaretten eine Rolleiflex-Kamera 6x6, da sie bei ihrer Flucht aus Tunis ihre gesamte Fotoausrüstung zurücklassen musste. Im September 1950 reiste sie nach Schleswig-Holstein, Niedersachsen und nach Bayern, um sich einen Überblick über die Situation von Flüchtlingen und Vertriebenen zu verschaffen. Sie besuchte u. a. die Flüchtlingslager Friedland, Dachau und Geretsried und führte Gespräche mit den Verantwortlichen der Lager, mit Politikern und mit vielen Flüchtlingen und Vertriebenen. Sie beschreibt die erschütternden Zustände in Massenunterkünften, berichtet über neue Flüchtlingssiedlungen, schreibt über Verlust der Heimat und die Hoffnungen für einen Neuanfang. Berichtet über die am Tag der Heimat 1950 verkündete „Charta der deutschen Heimatvertrieben“ und über die Wahlerfolge der Partei BHE (Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten). Ihre Reportage wollte sie in der amerikanischen Presse veröffentlichen, diese war aber nicht interessiert. Auch die Neue Zürcher Zeitung lehnte ihre Beiträge mit der Begründung ab, in der Zeitung seien schon alle notwendigen Informationen zu diesem Thema erschienen. Gleichzeitig lobte die NZZ Ré Soupault für diese „bewundernswerte“ Reportage. Wer heute diese Reportage liest, kann dieses Urteil nur teilen. Ré Soupaults Text ist von besonderer Klarheit, an Fakten orientiert und gleichzeitig ein bewegendes Zeit-Zeugnis einer Frau, die 1928 Deutschland verlassen hatte und danach nur noch für kurze Besuche dorthin zurückkehren wird. Ihre Fotografien schließen an ihr großes fotografische Werk aus den 1930/40 Jahren an. Und ihr Text ist erschreckend aktuell im Vergleich zu den heutigen Reportagen über das Schicksal der Flüchtlinge aus Afrika und Syrien.