Herrschaftstechniken im Sumpf und ihre Reichweiten
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Das belarussisch-ukrainische Übergangsgebiet Polesien war bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts das größte Sumpfgebiet Europas. Während des Ersten Weltkriegs, der anschließenden Kriege, Kleinkriege und Pogrome, während der Zeit der Polnischen Republik (1921–1939) und der sowjetischen Besatzung (1939–1941) versuchten Akteure aus Verwaltung, Politik und Militär auf unterschiedliche Weise, die als rückständig angesehenen Einheimischen zu mobilisieren. Das Verhältnis zwischen Modernisierern und Dorfbewohnern oszillierte zwischen Aufeinanderprallen und Zusammenarbeit, Terror und Normalität, Chaos und Versicherheitlichung, zwischen gegenseitiger Zuschreibung zum Anderen und zum Eigenen. Die Landschaft der Prypjat'-Sümpfe wurde zu einem diskursiven wie realen Kontinuum voller Asymmetrien: Das bald umkämpfte, bald nahezu niemanden interessierende Polesien wurde als Interventionslandschaft geografisch, politisch, militärisch, sozial und wirtschaftlich produziert, tradiert und zerstört, erinnert und vergessen. In ihrer Studie stellt Diana Siebert erstmals die Landschaftsinterventionen in Polesien im Zeitraum von 1914 bis 1941 umfassend dar. Unter Einbeziehung bisher unveröffentlichter Archivmaterialien gibt sie Einblick in die Agrar-, Meliorations-, Siedlungs-, Infrastruktur-, Kleinhandels-, Sicherheits-, Nationalitäten-, Schul- und Religionspolitiken und stellt Annahmen und Thesen der Raum-, Territorialisierungs-, Kolonial- und Partisanentheorie auf den Prüfstand.