Der Erfahrung auf der Spur
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Dieselbe Zeit, derselbe Raum, aber zwei grundverschiedene Regisseure und Erfahrungswelten: Aus einer praxisnahen Perspektive nähert sich Jelena Jeremejewa den Dokumentarfilmen von Sergei Loznitsa (*1964) und Aleksandr Rastorguev (1971–2018). Ihre Filme repräsentieren die gezeigte Wirklichkeit nicht, sondern interpretieren sie: Dokumentarfilm wird so zu einem Gestaltungsmittel, das blinde Flecken in der Gesellschaft, Verdrängtes und Vergessenes sichtbar machen kann. Doch wie genau wird Bedeutung im Spannungsfeld zwischen konventionalisierten Formen und spezifischen filmischen Verfahren erzeugt, die eben diese Konventionen aufbrechen? Wie werden Zeit und Raum und der darin befindliche Mensch erfahrbar gemacht? Jeremejewas Erkenntnisinteresse richtet sich besonders auf den ‚kleinen Menschen‘ – einen charakteristischen Typus von Protagonisten – und reicht von seiner Kontextualisierung bis hin zur Untersuchung seiner gänzlichen Abwesenheit im Sinne eines Handlungsträgers. Rastorguev, für den das Thema der Macht ein ganz zentrales ist, seziert die Verknüpfung von familiärer und historischer Realität mit einer fast körperlichen und taktilen Penetranz. Extreme Nähe, Intimität und Persönlichkeit sind immer der Startpunkt, von dem ausgehend die Filmerzählung etwas Fundamentales über den Menschen spür- bzw. begreifbar macht. Loznitsa hingegen bleibt auf Distanz zu den aufgenommenen Menschen. Er arbeitet streng formalistisch mit durchdachten Kamera- und Tonanordnungen, um die Gefilmten aus ihren Individualitäten herauszuschälen und sie als wandelnde Symptome einer Zeit-Raum-Einheit zu interpretieren. Bei all ihrer Unterschiedlichkeit katapultieren die Filme ihre Zuschauer*innen in die oft übersehene und unerkannte Hyperrealität ihrer Alltagswirklichkeit. Das Buch rückt diese Filme nun aus ihrem ‚Autorenkino-Nischendasein‘ heraus und in den Raum interdisziplinärer Forschung, wo sie als gleichwertige Formen der Wissens- und Erfahrungsproduktion diskutiert werden.