Herkunft (er)zählt
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Wann sticht eigentlich der Hinweis auf nationale bzw. ethnisch-kulturelle Herkunft als Argument zur Unterscheidung von seinesgleichen und anderen? Fragen, wer wir sind und wer die anderen, was Heimat ist und was Fremde, können mit der Berufung auf „Blut„, Nationalität, Ethnie oder Kultur nur sehr bedingt beantwortet werden. Befindlichkeiten wie heimisch oder vertraut, anders und fremd sind ebenso Elemente koexistierender und rivalisierender kollektiver Zugehörigkeiten wie auch Resultate von immer wieder neu zu treffenden Urteilen. Paradigmen wie Rasse, Klasse, Nationalität, Ethnizität, Kultur und Glaube firmieren nicht nur als kollektive Identitätsangebote. Sie stehen auch für real existierende, historisch durchgesetzte gesellschaftliche Verhältnisse, in denen Menschen auf kollektive Zugehörigkeiten verpflichtet werden. So macht es einen Unterschied, ob jemand seine Nationalität, Herkunft und Abstammung als honorige Zugehörigkeitswappen zu präsentieren vermag, oder ob diese persönlichen Besitztitel nur mindere Rechte und Ohnmacht anzeigen. Herkunft (er)zählt resümiert die Befunde einer Untersuchung des Zusammenlebens Jugendlicher in einem ethnisch heterogen Stadtteil Münchens. Der dabei verfolgte Forschungsansatz bricht mit der gängigen Praxis, wonach Individuen vornehmlich als Exponenten ihrer nationalen und ethnischen Herkunft zum Gegenstand des Interesses und Handelns werden. Ein solcher Persopektivenwechsel ist folgenreich insofern, als beobachtbare Eigenheiten, Verhaltensweisen, Probleme oder Konflikte von und zwischen Jugendlichen nicht schon vorab auf „kulturelle“ oder „ethnische„ Unterschiede zurückgeführt und damit erklärt werden. Dabei geht es nicht um die generelle Zurückweisung eines „kulturellen“ Blicks auf Jugendliche, wohl aber um Widerständigkeit gegen seinen hegemonialen Erklärungsanspruch. So könnten etwa die während der verschiedenen Etappen sozialpädagogischen Selbstverständnisses jeweils zum Tragen gekommenen, zuweilen auch konkurrierenden Positionen – wie „antikapitalistische„, „proletarische“, „emanzipatorische„, „geschlechtsspezifische“ und „interkulturelle" Jugendarbeit daran erinnern, daß sich Jugendliche nur selten auf den Punkt bringen lassen, auf den professionelle Begutachter und Betreuer sie jeweils vereidigen wollen. Das muß nicht schon zu Desillusionierung und Verunsicherung führen. Im Gegenteil: Ein anderer Umgang mit Differenzerfahrungen verdankt sich der Vergewisserung, daß jede Programmatik in gesellschaftlichen Handlungsfeldern – sei sie nun kulturell, sei sie klassen- oder geschlechtsspezifisch codiert – eine Setzung, d. h. eine Entscheidung darstellt, die im Einzelfall begründet sein will und grundsätzlich ohne Risiken und Nebenwirkungen nicht zu haben ist. Mit einem Vorwort von Franz Hamburger