Doppelte Loyalität
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„Wer dieses Buch liest, lernt die Haltung des Großteiles der ehemaligen deutschen Juden kennen.“ (Ernst Ludwig Ehrlich s. A., FrRu Nf, 2/2008 ) Die Frage nach der Möglichkeit einer „doppelte Loyalität“ stand seit der Mitte des 19. Jahrhunderts im Mittelpunkt der deutsch-jüdischen Diskussion. Den Juden im Staatsdienst wurde von christlich-konservativer Seite ihre „nationale Loyalität“ bestritten. Als national unzuverlässig stigmatisiert, blieben ihnen hohe Staatsämter auch nach der vollständigen rechtlichen Emanzipation de facto vorenthalten. Fritz Rathenau (1875-1949) gehörte zu der Minderheit des akkulturierten deutsch-jüdischen Bürgertums, die dennoch in zeitweilig leitender Funktion als Beamte tätig war. Deutschnational gesinnt, war Rathenau bis in die Jahre der nationalsozialistischen Herrschaft von der Überzeugung geleitet, gleichberechtigter Staatsbürger jüdischen Glaubens zu sein und seine jüdische Identität mit der geforderten Loyalität als Beamter in Einklang bringen zu können. Während seiner über vier Jahrzehnte und über drei Gesellschaftssysteme sich erstreckenden Tätigkeiten als preußischer Beamter hat Fritz Rathenau die Frage nach der Möglichkeit einer „doppelte Loyalität“ nie losgelassen. Seine trotz antisemitischer Diskriminierungen zunächst optimistische Einschätzung erfuhr nach den Erfahrungen von Ausgrenzung und Verfolgung durch die Nationalsozialisten eine fundamentale Revision. Rathenaus Frage, ob es prinzipiell möglich sei, gleichzeitig deutscher Beamter und Jude zu sein, steht im Mittelpunkt der Studie. Systematisch verknüpft diese das Biographisch-Individuelle des Lebens und Denkens Fritz Rathenaus mit generalisierbaren und epochenübergreifenden Fragestellungen. So werden zum Beispiel die Fragen nach Assimilation und Akkulturation sowie nach Formen und Relevanz des Antisemitismus behandelt. Dabei wendet sich die Studie konsequent gegen das ausschließliche Bild von Juden als passiven Opfern antisemitischer Diskriminierung und Verfolgt. Sie läßt Rathenau aus der Opferrolle heraustreten, macht ihn zum handelnden Subjekt und verknüpft dies mit der Frage nach den Möglichkeiten und Grenzen seines Handelns. *************** Even after their total legal emancipation since the mid-19th century, high state offices remained de facto inaccessible to German Jews, who were often stigmatised as nationally unreliable. Fritz Rathenau (1875-1949) belonged to the minority of the acculturated German-Jewish bourgeoisie which was nevertheless active in public service, in leading positions at times. The study focuses on Rathenau’s question as to whether it was basically possible to be a German public servant and a Jew at the same time. It systematically links the biographical and individual element in his life and thought with issues which transcend epochs and can thus be generalized. Thus, for example, questions of assimilation and acculturation as well as the forms and the relevance of anti-Semitism are dealt with. The study consistently rejects the image of Jews as exclusively passive victims of anti-Semitic discrimination and persecution. It allows Rathenau to step out the role of the victim and become an active subject and links this to the question as the options and limits of his activity.