Wiederbegegnungen
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Jeder Mensch erlebt sie, möge er noch so ein stumpfsinniger Tropf sein, der sich an nichts erinnern kann oder es auch nicht will. Wiederbegegnungen bedürfen der bewegten Zeit, die jedes Leben prägt, die verrinnt, bald schneller als wir wollen und oft auch ermüdend langsam. Je nach Temperament und Naturell sind sie als Ereignis kurzlebig oder von anhaltender Dauer, ein wechselnd Weben zwischen Geburt und Grab, wie es der Erdgeist in Goethes Faust benennt. Wie oft sind Wiederbegegnungen von Entsetzen und Erschrecken, mindestens jedoch auch von staunender Überraschung oder gar als Glück des Erinnerns von jubelnder Freude begleitet - sie gehören zum Leben und finden überall und jeden Tag statt - sie sind das weite Feld, das jedes menschliche Dasein fruchtbar macht, oder auch grausam werden lässt, sind der bunte Teppich, der uns trägt und erfüllt, mal mit der Neigung zum Guten, doch auch zum Bösen. Es gibt sie in tausendfältiger Ausprägung - niemand ist frei von ihrem Erleben, ob er will oder nicht, niemand kann ihnen entkommen, und viele Menschen sind auf dem Weg, sie wieder zu finden, wenn sie ihnen verloren gingen. So sind sie umgeben auch von der Suche nach einstigem Glück, das es einmal gab. Und wir treffen sie im Duft und im Licht früherer Tage und Dinge, im teuren Klang von Stimmen, die wir längst verweht glaubten, und wie erst im Fühlen. Manches Kunstwerk, viele Fotos enthalten Botschaften, wie es einst gewesen war, und es kommt zuweilen die unerfüllbare Sehnsucht in uns auf: Soll man sich wünschen, dass die Eltern, geliebte Menschen, gute Freunde und treue Weggefährten und so viele andere, die heute nicht mehr da sind, noch einmal, und sei es für einen Tag, zurückkommen dürften? Jeder wird so eine Frage, wenn sie denn auftaucht, sehr verschieden beantworten müssen - es ist die Furcht vor dem sichtbar werdenden Verlust, den wir uns ersparen möchten und der uns zögern lässt - und gleich ist das Aufatmen dabei: Ist es ein Glück, dass die Vorausgegangenen es nicht mehr erleben müssen, was aus den Wünschen und Hoffnungen von einst geworden ist? Oder könnten sie mit Erleichterung darauf schauen? Not und Enttäuschung oder Befreiung und Glück - ein wechselnd Weben.