Gottfried und sein Engel
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KlappentextIm Dämmerlicht seines Schlafzimmers herrschte Grabesstille; die Mienen der um sein Bett Versammelten hatten sich der ausgesprochen finsteren Atmosphäre unerwartet pietätvoll angepasst. Doch Gottfried wollte von dieser düsteren Umgebung nichts mehr wissen. Er hoffte nur noch, sich mit aller Würde, die ein Sterbender aufzubringen vermag, endlich aus diesem scheinbar unendlichen Leben zu verabschieden. Seit zu vielen Jahren schon zog es sich, ohne jeden Sinn, nur noch quälend in die Länge. Vermutlich war er nicht einmal der Einzige in dieser trübsinnigen Runde, der bereits seit längerer Zeit ungeduldig auf sein Ende wartete. Wenn der letzte Vorhang doch bloß schon gefallen wäre, dann wäre dem freudlosen Schauspiel sein unwürdiges Ende erspart geblieben. Mittlerweile war die Mühsal seines Greisenalters sicher nicht nur ihm, sondern auch den Menschen zur Last gefallen, die sich verpflichtet fühlten, ihm die letzte Phase seines Lebens einigermaßen erträglich zu gestalten. Sein Körper war nur noch ein Behälter aus runzliger Haut, der die Sehnen, Knochen und ausgedienten Organe notdürftig zusammenhielt. Obwohl alternde Menschen bekanntlich kleiner werden, reichte dieses Bündel ziemlich deprimierenden Lebens auch nach dreiundneunzig Jahren noch vom Kopf- bis zum Fußende des Bettes. Aber selbst diesem großen und ehemals äußerst imposanten Mann würde das Sterben nicht leichter fallen als vielen anderen Menschen. Der Abschied von einer vertrauten Welt in eine vollkommen unbekannte macht es so schwer. Doch die Schmerzen und die Hilflosigkeit, die er nun schon jahrelang ertrug, waren sehr hilfreich dabei, die Angst vor dem Unbekannten zu überwinden … … doch dann geschah es, das Unfassbare … Hoffentlich wird es uns allen eines Tages genau so, oder wenigstens so ähnlich, widerfahren.