Judas - das Tagebuch des Verräters
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Du wirst sie alle übertreffen, denn du wirst den Menschen opfern, der mich kleidet. Schon ist dein Horn erhoben, dein Zorn ist entfacht, dein Stern ist aufgegangen und dein Herz hat gesiegt. - Diese dunklen Sätze finden sich im so genannten Judas-Evangelium, einer Schrift aus der Mitte des 2. Jahrhunderts. Man wusste von seiner Existenz, aber erst 1978 wurden in Ägypten Textfragmente gefunden, die erst Anfang des neuen Jahrtausends (teilweise) entziffert wurden. Irenäus von Lyon polemisierte um 180 gegen die Schrift, vor allem gegen die oben angeführte Aussage, wonach Jesus Judas zum „Verrat“ aufgefordert habe: Du wirst den Menschen opfern, der mich kleidet (nach einer anderen Übersetzung: der mich trägt). Das ist gut platonisch und zugleich gnostisch: Der wahre Mensch ist die Geistseele, der Körper ist gewissermaßen nur ihr Trägermedium. Judas ist der Urtyp des Verräters und die Projektionsfläche für viele Formen des Antisemitismus respektive des Antijudaismus. Aber hätten der „göttliche Heilsplan“ und das Erlösungswerk umgesetzt werden können ohne den „Verrat“ dieses Mannes? Keine der Schriften, die als „Evangelien“ bezeichnet wurden und werden, darf als historisch exakter Bericht verstanden werden, auch nicht die vier von den christlichen Kirchen als kanonisch, als maßgeblich, anerkannten. Das Judas-Evangelium stammt nicht von Judas, und Judas hat mit Sicherheit kein Tagebuch geführt. Aber es gehört zum Menschen, dass er sich „seine“ Wirklichkeit und seine Wahrheit konstruiert. Wer wollte entscheiden, wo die Grenze verläuft zwischen Faktum und Fiktion? Der Tagebuchschreiber Judas und sein „Tagebuch“ sind Fiktion. Sie sind zugleich ein schwacher Versuch der Wiedergutmachung, ohne den Anspruch, das Unrecht aufzuwiegen, das dem Mann – und seinem Volk – durch zwei Jahrtausende angetan worden ist.