Das vollkommene Alter
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Roberto Cotroneos dritter Roman ist mehr als die Schilderung einer verbotenen Liebe zwischen einem Lehrer und seiner Schülerin. Der Protagonist ist ein »Mann ohne Eigenschaften«, der eine Geschichte erlebt, die größer ist als er selbst. »Denn Liebe ist stark wie der Tod und Leidenschaft unwiderstehlich wie das Totenreich.« Sind Bibelworte wie diese wirklich dazu angetan, eine brave Kirchengemeinde keusch an ihren seelischen Bund mit Gott denken zu lassen? Und sind die Pforten der Hölle nicht sehr nah, wenn man außerdem die kräftigen Zeilen entdeckt: »Dein Schoß ist wie ein runder Becher, dem es nimmer an Saft mangelt«? Nach seiner Ankunft in Sizilien gibt ein junger Lehrer ein Zeitungsinserat auf, mit zwei Zeilen aus dem Hohenlied als Erkennungszeichen für Francesca. Doch in seiner Unterrichtsklasse sitzt deren jüngere Schwester, Nunzia, eben sechzehnjährig. Vom spröden Charme des Mädchens betört – sie ist dunkel wie Sulamith -, beginnt er, ihr das Hohelied vorzulesen, und diese Art der Verführung findet ihre Erfüllung schon bald in den Gemächern des Palazzos. Ein Skandal in der sizilianischen Provinzstadt im Jahr 1959, zu deren Alltag die Moralgesetze der Kirche ebenso gehören wie die immer wieder siegreichen fleischlichen Versuchungen unter einer südlichen Sonne. Ausgerechnet die heiligen Worte des Hohenliedes dienen der Verführung einer Minderjährigen und verwandeln Nunzia in eine Frau, bei deren Anblick die ganze Stadt den Atem anhält. Der Franziskanermönch, dem Nunzia ohne Reue gebeichtet hatte, predigt leidenschaftlich über die religiöse Bedeutung des Hohenliedes. Für ihn versinnbildlicht der Satz »Da bin ich geworden in seinen Augen wie eine, die das vollkommene Alter hat« keineswegs den Körper einer jungen Frau in voller Blüte, sondern den Bund Gottes mit der menschlichen Seele. Die Versetzung des jungen Lehrers ist unausweichlich.
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