Der Besuch der alten Dame : eine tragische Komödie : Neufassung 1980
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Die Milliardärin Claire Zachanassian besucht die verarmte Kleinstadt Güllen (in Wirklichkeit Ins, im Schweizer Kanton Bern) in der sie einst ihre Kindheit und Jugend als Klara („Kläri“) Wäscher verbracht hat. Während die Einwohner auf finanzielle Zuwendungen und Investitionen hoffen, will Claire vor allem Rache für ein altes Unrecht: Als sie im Alter von 17 Jahren von dem 19-jährigen Güllener Alfred Ill ein Kind erwartete, leugnete dieser die Vaterschaft und gewann mit Hilfe bestochener Zeugen den von Klara gegen ihn angestrengten Prozess. Entehrt, wehrlos und arm musste Klara Wäscher ihre Heimat verlassen, verlor ihr Kind, wurde zur Prostituierten, gelangte jedoch später durch die Heirat mit einem Ölquellenbesitzer (der noch acht weitere Ehen folgten) an ein riesiges Vermögen. Die inzwischen hochangesehene „alte Dame“ hat insgeheim, als Vorbereitung für ihren Besuch, in der Vergangenheit alle Güllener Fabriken und Grundstücke aufgekauft, um die Stadt allmählich zu ruinieren. Nun, 45 Jahre nach ihrer Vertreibung, unterbreitet sie den auf diese Weise für Korruption und finanzielle Strohhalme besonders empfänglich gewordenen Güllenern ein ebenso verlockendes wie unmoralisches Angebot und verspricht: „Eine Milliarde für Güllen, wenn jemand Alfred Ill tötet. [...] Gerechtigkeit für eine Milliarde.“ Diese Forderung lehnen die Bewohner zunächst zwar entrüstet ab, beginnen jedoch seltsamerweise gleichzeitig, über ihre Verhältnisse zu leben, sich Geld zu borgen und auszugeben, und die Kaufleute gewähren Kredite, so als ob alle mit einem baldigen Vermögenszuwachs rechnen könnten. Vergeblich bemüht sich Ill, Claire umzustimmen, seinen Fehler zu entschuldigen und seinen Freunden ins Gewissen zu reden. Es gibt niemanden, der sich nicht gern vom unerwarteten Wohlstandsbazillus infizieren ließe. Der Bürgermeister gibt den Bau eines neuen Rathauses in Auftrag, der Pfarrer hat bereits neue Glocken für seine Kirche bestellt, jedermann stolziert plötzlich in nagelneuen gelben Schuhen wie auf Goldtalern daher, und selbst Ills eigene Familie macht den Konsumrausch mit: Seine Frau kauft sich einen teuren Pelzmantel, der Sohn ein schnelles Auto und die Tochter nimmt neuerdings Tennisunterricht. Sie alle heucheln Solidarität, erklären „ihren Ill“ scheinheilig zum „beliebtesten Bürger der Stadt“ und spielen die allgemeine Gefahr herunter. Nur der Lehrer des Ortes, der sich als „Humanist“ zu Gewissensbissen verpflichtet fühlt, wagt es, die Wahrheit auszusprechen - allerdings nur, wenn er hoffnungslos betrunken ist und daher nicht mehr ernst genommen wird. Als Ill schließlich, von Schuld und Angst zermürbt, fliehen und nach Australien auswandern will, stellen sich ihm die Güllener auf dem Bahnsteig in den Weg, und der Zug fährt ohne ihn ab. „Ängstlich wie ein gehetztes Tier“ erkennt Ill: „Ich bin verloren.“ Wenig später bringt ihm der Bürgermeister ein geladenes Gewehr und lässt es, zum Selbstmord einladend, in Ills Laden zurück. Der jedoch zögert, wächst über sich selbst hinaus und besinnt sich anders. Aus seiner Resignation wird Einsicht und er beschließt, sich seinen Mitbürgern auszuliefern. Stolz lässt der Bürgermeister in der Presse verkünden, Frau Zachanassian habe durch Vermittlung ihres Jugendfreundes Ill der Stadt eine Milliardenstiftung geschenkt. Vor laufenden Kameras bilden die Bürger eine Gasse für Ill. Die schließt sich immer enger um ihn. Als sie sich wieder öffnet, liegt Ill tot am Boden. „Herzschlag“ und „Tod aus Freude“ sind die Kommentare von Amtsarzt und Presse. Claire lässt den Toten in einen mitgebrachten Sarg legen - „Er ist wieder so, wie er war“ -, händigt dem Bürgermeister den Milliardenscheck aus und reist noch am selben Tag ab nach Capri, wo bereits ein Mausoleum auf Ills Leichnam wartet.