Ausgrenzung
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Was hat das Kind? fragen die Leute. Ist das Kind krank? Warum schlagen Sie das Kind nicht? fragen die Nachbarn, die das Kind schreien hören. Weil Jakob mit fünfzehn Monaten noch nicht allein gehen kann und mit zwei Jahren noch kaum spricht, und weil er oft fünf Stunden ununterbrochen schreit, als sei er in einem schrecklichen Albtraum gefangen, geht Marta mit ihm in die Klinik. Denken Sie nach! wird sie aufgefordert. Erinnern Sie sich, überlegen Sie, wo Sie die Beziehung zu Ihrem Kind zerstört haben. Mit der Schuldzuweisung, die sich unzählige Male wiederholen wird, mit dem Versuch, den „Fall“ Jakob durch eine zweifelhafte Diagnose („Autismus“) in ein System zu zwingen, beginnt der verhängnisvolle Prozeß der Ausgrenzung, der völligen Isolierung zweier Menschen, den die österreichische Schriftstellerin Anna Mitgutsch in ihrem dritten Roman aufzeigt. Jakob, ein zartes Kind mit großen blauen Augen, ist nicht krank. Er ist anders. Er hat andere Begabungen und Fähigkeiten als die, die man von einem Kind seines Alters erwartet. Er reagiert nicht, oder anders als erwartet, wenn er angesprochen wird. Die Wörter, die er sagt, formen sich nicht zu Sätzen, sondern werden, wie seine Spiele, zu rhythmisch wiederholten Ritualen, die Marta wie ein Zeichen für etwas Unbekanntes erscheinen. Er führt die Hand der Mutter zu den Dingen, die er haben will. Er liebt die Musik, liebt den Rhythmus der Reime, die sie ihm vorliest. Allein gelassen von ihrem Mann, den Ärzten, den Freunden, den Nachbarn, versucht Marta, sich in Jakobs Welt zu begeben, um ihn besser zu verstehen: eine Welt, so wirklich für Jakob wie die, in der die anderen leben – die anderen, die in der Mehrzahl sind und darum den Anspruch erheben, ihre sei die einzige und normale. Sie stellt ihren Tageslauf, sie richtet ihr ganzes Leben auf Jakob ein. „Das Kind ist ein Grenzfall“, erklärt sie den Kindergärtnerinnen, den Lehrern, den Therapeuten und Spezialisten. Die Grenze, die sie und Jakob von den anderen trennt, bleibt. Marta hat das Gefühl, als wüchse unaufhaltsam eine unsichtbare Mauer um sie herum. Mit beklemmender Eindringlichkeit und sprachlicher Präzision beschreibt Anna Mitgutsch in diesem Roman, wie zwei Menschen an den Rand und aus der Gesellschaft hinausgedrängt werden.
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