"Es war einer krank"
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Die Heilungsgeschichten in den Evangelien gehören mit zu den berührendsten Szenen des Neuen Testamentes, die sich aber gleichzeitig einem räsonierenden Verständnis am stärksten entziehen. Die herkömmliche Theologie hat diese Heilungen deshalb auch leichthin als Wunder bezeichnet. Die Medizin schritt ihrerseits weitenteils souverän über sie hinweg und glaubte nicht zur Kenntnis nehmen zu müssen, was in ihnen beschrieben wurde. Demgegenüber versucht Peter Selg mit seiner Anthologie auf die spirituelle Tiefendimension der in den Heilungsgeschichten beschriebenen Ereignisse aufmerksam zu machen. Diese spirituelle Schicht der Heilungsgeschichten hängt mit dem Christus-Ereignis der Zeitenwende zusammen, das zugleich ein neues Menschenbild beinhaltet und weitreichende Perspektiven für den Umgang mit Krankheit und Leiden, Therapie und Heilung eröffnet. Durch den einleitenden Beitrag des Herausgebers und die weiteren Wort- und Bilddokumente des Buches wird nicht nur die einzigartige Begegnungsqualität der neutestamentlichen Krankenheilungen ansichtig, sondern auch erstmals in umfassendem Sinne deutlich, wie die therapeutischen Prozesse mit Wesensbewegungen der menschlichen Individualität zusammenhängen. Die Heilungen greifen tief in den Schicksalsgang des Einzelnen ein, bis in die Konstitution des Leibes. Die durch Christus bewirkten Heilungen sind daher keineswegs bloß psychologischer Natur, sondern reichen bis zur Substanz des Leibes, dem Organon der menschlichen Individualität. Allen entsprechenden Evangelienstellen, die in der vorliegenden Anthologie versammelt werden, eignet vor diesem Hintergrund eine erschütternde, die Medizin der Zukunft und jeden Kranken und Angehörigen zuinnerst betreffende Aktualität. Die Übersetzung Emil Bocks und die kommentierenden Beiträge Rudolf Frielings lassen die beschriebene spirituelle Dimension der Evangelientexte besonders deutlich hervortreten. . Je genauer man auf die verschiedenen Blindenheilungsberichte der Evangelien eingeht, desto mehr bestätigt sich Alfred Heidenreichs Erkenntnis, daß der Christus je nach Artung der zu Heilenden jeweils mit verschiedenen Wesens-Schichten zusammenwirkt. Bei den sein Erbarmen aufrufenden Blinden kann er an starke Seelen-Bewegungen anknüpfen. Bei dem mehr passiven Blinden von Bethsaida kommt er direkt mit seinen eigenen Lebenskräften dem leiblichen Lebens-Organismus zu Hilfe, ohne das Seelische besonders in Anspruch zu nehmen. Bei dem von Johannes geschilderten Blindgeborenen schließlich liegt das Geschehen auf der geistigen Ebene des ›Ich Bin‹ und reicht andererseits hinab bis zur Alchemie des Erden-Elementes, das ja für den Menschen die Widerlage des Ich-Erlebnisses ist. Moderne Theologen haben in abschätziger Weise von den Geister- und Wundergeschichten des Neuen Testamentes gesprochen. Nimmt man sich die Mühe, diese Geschichten im einzelnen genau anzuschauen, so kann man nur immer tiefer sich darüber verwundern, wie im besten Sinne sachgemäß die Darstellung der Evangelien ist. (Rudolf Frieling)