Literarische Lebensreform um 1900
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Am Beispiel Richard Dehmels, der um 1900 unbestritten als der größte deutsche Dichter galt, wird im vorliegenden Band eine literarische und publizistische Formation skizziert, die im starren Schematismus Naturalismus - Ästhetizismus allzu oft verloren geht: Unter dem Einfluss der biologischen und lebensphilosophischen Anthropologie (Darwin, Haeckel, Nietzsche u. a.) entwickelten sich in Berliner Literatenkreisen seit ca. 1880 Entwürfe zu einer Neugestaltung der Lebensführung mit dem Ziel des zukünftigen Menschheitsglücks. Die Literatur, das belegen kunsttheoretische wie poetische Texte, war als die Keimzelle gedacht, von der die gesellschaftliche Erneuerung ihren Anfang nehmen sollte. Es kann gezeigt werden, dass dieser weltanschauliche Kulturoptimismus, der sich ab 1890 in bewussten Gegensatz zu zeittypischen Décadence-Diagnosen stellte, mehr als politische oder artistische Motive das Profil der frühen deutschen Moderne prägte. Seine Wirkung erstreckt sich über den Jugendstil bis zur Avantgarde und dokumentiert die innere Einheit der Epoche diesseits der 'Ismen'. Dehmels Frühwerk greift in diese Diskussion energisch und wirkungsvoll ein. Seine Lyrik versteht sich als Gestaltung des ethischen und psychischen Konflikts, vor den sich der Mensch des späten 19. Jahrhunderts gestellt sah, und als der Versuch, aus dieser Orientierungslosigkeit einen Ausweg zu weisen.