Strickers "Karl der Große"
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Die mittelalterlichen Epiker haben bekannte Helden hervorgebracht, die uns immer noch faszinieren: Alle paar Jahre werden die Geschichten um Siegfried, Parzival, Artus oder Tristan und Isolde neu aufgelegt, sei es in Form von Romanen, von Jugendbüchern oder Filmen. Die Handlungsstränge der Erzählungen sind meist bekannt, doch die Details liegen häufig immer noch im Dunkeln: Da keine Originale der damaligen Dichter vorhanden sind, müssen wir uns auf die erhaltene Überlieferung stützen, die bei zahlreichen Epen lückenhaft bzw. verschwindend gering ist, so dass bei einigen Versen und Versbereichen ihre Aussage oder ihr eigentlicher Umfang unsicher ist. Anders ist der Überlieferungsumfang bei einem Werk des in heutiger Zeit fast vergessenen Dichters, der sich der Stricker nennt: Sein Karl der Große wurde ab der Mitte des 13. Jahrhunderts so zahlreich abgeschrieben, dass sich noch 24 nahezu vollständige Handschriften und 25 Fragmente aus 21 weiteren Textzeugen erhalten haben. Strickers Karl der Große ist die Neubearbeitung des etwa um die Mitte des 12. Jahrhunderts entstandenen Rolandsliedes des Pfaffen Konrad: Der Neffe Karls, Roland, wird nach einem erfolgreichen Kriegszug des Kaisers mit einer Nachhut in Nordspanien zurückgelassen, und stirbt durch den Verrat seines untreuen Stiefvaters nach Kämpfen mit den Heiden. Die zahlreichen erhaltenen Handschriften und Fragmente zeugen vom Interesse des mittelalterlichen Publikums an dieser Thematik. Umso erstaunlicher ist die stiefmütterlicher Behandlung des Epos durch die Germanistik in den letzten anderthalb Jahrhunderten: Zwar erschien 1857 eine Edition des Werkes durch Karl Bartsch, die 1965 noch einmal aufgelegt wurde, doch ist dieser Text höchstens noch über Antiquariate käuflich zu erwerben. Nach heutigen editionswissenschaftlichen Maßstäben ist Bartschs Edition zudem höchst unbefriedigend, weil er die überwiegende Anzahl der Textzeugen entweder bewusst nicht einsah oder nicht kannte. Diesem Manko nimmt sich das Buch an: Nach einer genauen Analyse aller bekannten Textzeugen wird - durchaus der Vorgehensweise der Editionswissenschaftler des 19. Jahrhunderts verpflichtet - ein Handschriftenstemma erstellt. Im zweiten Teil wird mit Hilfe der erarbeiteten Grundlagen eine Edition vorgenommen, welche allerdings, da auf dem Leithandschriftenprinzip aufbauend, der modernen Editionswissenschaft folgt.