Interkulturelle Lektüre von Goethes Balladen
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Wer den Blick auf Goethes immenses Oeuvre im epischen, dramatischen und lyrischen Bereich wirft, dürfte das Balladenwerk nicht übersehen. Im Gegensatz zur Rezeption der bekanntesten Werke und abgesehen von den häufig im Unterricht verwendeten Balladen sind die meisten Balladentexte dem Publikum nicht bekannt noch werden sie in der Goethe-Forschung hinreichend wahrgenommen. Manche kommen vertont, illustriert oder in lyrischen Sammlungen vor. Doch ein Profil Goethes als Balladendichter - anders als dies bei Schiller der Fall ist - gibt es nicht. Goethe hat an der Entstehung seiner Balladen fast ein halbes Jahrhundert gearbeitet. Davon zeugt das Verfassen zahlreicher Balladen in verschiedenen Stationen seiner literarischen Produktion. Insgesamt verfasste er mehr als 30 Balladen. Seine Teilnahme am Balladendiskurs seiner Zeit spürt nicht nur einem epochalen Trend nach, in dem der Dichter wie manche Zeitgenossen mit der Gattung experimentiert, sondern stellt mehr noch eine Weltpoesie dar, eine Poesie von Wissen, Kulturen und Religionen. Auch Geschlechter- und Liebesdiskurse, die Konfrontation zwischen archaischen und modernen Wissensordnungen, die Verortung der pädagogischen Provinz zwischen dem Rationalen und dem Archaischen sowie der Dialog zwischen Natur, Vernunft und Pantheismus bilden Themen, die erst nach einer Umgruppierung der Balladen sinnvoll erschlossen werden können. Die meist aus unterschiedlichen Kulturen entnommenen Stoffe verarbeitete er zu Balladen, in denen das interkulturelle Potenzial kaum wegzudenken ist. Goethes Balladenwerk vereinigt Text und Diskurs sowie poetische und poetologische Reflexionen in sich. Sein Anteil am Balladendiskurs wird nicht nur in der Erfindung neuer Balladentopoi deutlich, sondern auch in der wiederholten Bestimmung des Wesens, des Status und der Funktionen der Gattung im Kontext der zeitgenössischen literarischen Kommunikation. Die vorliegende Studie stellt eine Gesamtschau auf Goethes Balladenwerk dar. Vorgeschlagen wird eine Lesart, die das den Balladen innenwohnende interkulturelle Potenzial, Goethes Verarbeitung oralen und archaischen Wissens sowie seine Auseinandersetzung mit der Modernität thematisiert. Die Studie beschäftigt sich auch mit der Aktualität und der Didaktisierbarkeit des Goetheschen Balladenwerks und bietet konkrete Nutzungsmöglichleiten der Balladen in Lehre und Alltag.