Experimentelle Poetik als Engagement
Authors
More about the book
Mit Beginn der 1950er Jahre traten die konkrete und visuelle Poesie sowie die Lautdichtung und das experimentelle Hörspiel vor allem in Deutschland, in der Schweiz und in Österreich in Erscheinung. Bis heute werden diese literarischen Formen meist als bloße Sprachspielerei betrachtet, die den Autoren eine politische Stellungnahme zur Realität ersparten. Schon in den 1960er Jahren galten experimentelle Schreibweisen im Zuge einer einseitigen Rezeption des Sartre’schen Begriffs der „littérature engagée“ als „desengagiert“. Dennoch beriefen sich damals Autoren wie Eugen Gomringer, Helmut Heißenbüttel, Franz Mon, Max Bense, Reinhard Döhl oder Ernst Jandl auf die politische Tragweite ihrer Dekonstruktion traditioneller poetischer Schreibweisen, linguistischer Normen und der abendländischen logozentrischen Denkweise. Könnten experimentelle Schreibweisen demzufolge nicht auch politische Intentionen zum Ausdruck bringen, da sie unsere Denkweisen und Weltbilder grundsätzlich in Frage stellen? Die politische Funktion der Kunst bestünde dann im ästhetischen Effekt und in der durch sie erzeugten Distanz zur gesellschaftlichen Realität. Jacques Rancière bezeichnete dies als „politische Subjektivierung“, nämlich die Emanzipation des Einzelnen oder einer Gruppe von zugewiesenen, durch Sprach- und Denkweisen verfestigten Identitäten und Rollenverteilungen. Diese Studie untersucht das Engagement der Literatur aus einer poetologischen Perspektive, indem sie sich mit der immanent politischen Intention befasst, die sich in bestimmten experimentellen poetischen Schreibweisen manifestiert.****************From the start of the 1950s concrete and visual poetry, sound poetry and experimental radio drama came to prominence, most notably in Germany, Switzerland and Austria. Today these literary forms are still often regarded as a mere linguistic game, which spared the authors from taking a political attitude to reality. Yet even back then, authors such as Eugen Gomringer, Helmut Heissenbüttel, Franz Mon, Max Bense, Reinhard Döhl and Ernst Jandl referred to the political significance of their deconstruction of traditional forms of poetic composition, linguistic norms and western logocentric thinking. This study examines literary engagement from a poetological perspective, addressing the immanent political intention manifested in experimental forms of poetic writing.