Reise nach Russland
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Sie werden sich wundern. Zumindest werden sie sich fragen. Ein Buch zu Russland? Knapp hundert Jahre nach dem erscheinen im Original? Was hat uns Miroslav Krleža heute zu sagen? Es sei »das persönlichste Buch Krležas, persönlicher jedenfalls als seine Reminiszenzen über seine Agramer Kindheit, und vielleicht ist Reise nach Russland seine ungewollte Autobiografie, erzählt in Form einer sehr unorthodoxen Reisebeschreibung oder literarischen Reportage«, schreibt vor einem Jahrzehnt Milenko Jergović über das Buch und ergänzt: »Von allen Büchern Krležas habe ich Reise nach Russland vermutlich am intimsten erlebt«. „Ich bin mir bewusst“, schreibt der Übersetzer Klaus Detlef Olof, „dass Russland derzeit kein Sehnsuchtsland ist, in dem wir unser Lebensmodell realisiert sehen. Damals, sechs, sieben Jahre nach dem Weltenbrand und dem Aufbrechen des europäischen Völkerkerkers war die neue Gesellschaftsordnung im Osten eine Verheißung auch für den Westen (und Südosten). So weit, so gut. Krleža hat den Polizeistaat im neuen Königreich Serbisch-Jugoslawiens am eigenen Leib zu spüren gekriegt [und hat sich in Russland in einen Ästhetizismus geflüchtet, mit dem er den dialektischen Umschlag in der russischen Gesellschaft verbrämt hat. Klänge, Farben, Gerüche, bewegte Volksmassen, Absterben des Verbrauchten, Unnützen, Schädlichen, Aufbrechen des Jungen, Kraftvollen, Gesunden ... und wo gehobelt wird, da fallen Späne.] Einen möglichen Verdacht, dass auch in der Sowjetunion die Revolution ihre Kinder fressen werde. Einen ausdrücklichen Zweifel an der Unumkehrbarkeit des gesellschaftlichen Prozesses in Russland finden wir nicht, aber die Erwähnung des Triumvirats Bronstein, Dschugaschwili, Dzierżyński in Parallelsetzung zum Aufstieg Napoleons zum Alleinherrscher dürfen wir als Vorahnung des Kommenden werten. In diesem Sinne scheint es für uns Heutigen eine Konstante in der russischen Geschichte jenseits aller Ideologie zu geben, den Trend zur Ein-Personen-Herrschaft.“ In Zeiten des Kriegsgottes, der an Allmacht gewinnt, ist es wahrlich ein Wagnis, dieses Buch zu verlegen. Aber sollen wir es sein lassen? In Krležas Œuvre ist es das „persönlichste“, das „intimste“ Buch und fügt sich ein ins gesamte übersetzte Werk, das uns vorliegt: Vom „Kroatischen Gott Mars“ bis zum vielgepriesenem Opus Magnum „Die Fahnen“. Allein schon im Ton, den Krleža im „Reise nach Russland“ anschlägt, sind ihm die – zumeist – unausgesprochenen Zweifel, anzumerken. Im Grunde verbirgt sich dahinter ein Jahrhundert des Unausgesprochenen und darin auch das Ungehörten, weil es „eh nur“ aus dem Osten kam. Vieles an Neuem wurde versucht, wurde gegangen. Gestrauchelt, gescheitert und gehofft wurde oft. Die Enttäuschung war immerwährender Begleiter. Das macht es uns heute nicht leichter. Und Ja! – Gerade deshalb legen wir dieses Buch der Leserschaft vor!