Märtyrer-Porträts
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Mit Selbstmordattentätern, die sich als Märtyrer verstehen und inszenieren, ist nicht nur die Religion in die Politik zurückgekehrt, sondern auch eine Figur auf den Schauplatz der Geschichte getreten, von der das säkulare Europa annahm, dass sie längst vergangenen Zeiten angehöre. Die Vielzahl religiös begründeter Selbstmordattentate ist Anlass, die lange und vielgestaltige Geschichte von Märtyrern zu rekonstruieren und der Faszination ebenso wie der Bedrohlichkeit dieser Figur nachzugehen. In 50 Porträts von Märtyrern wird Kontinuität ebenso wie die Differenzen und Umformungen der Figur erkennbar: von der Antike bis zur Gegenwart, in verschiedenen Religionen, Künsten und Darstellungsweisen. Die Zitate von religiösen Symbolen – auch der christlichen Ikonographie – und von Chiffren der Popkultur offenbaren, dass hier auch europäische Traditionen im Spiel sind. Begriff und Bild des Märtyrers sind wesentlich durch das massenhafte Auftreten frühchristlicher Märtyrer im kaiserlichen Rom des 2. bis 4. Jahrhunderts begründet. Sein Bild ist geprägt von Mythen heldenhafter Tode und dem antiken Konzept des noble death, aber auch von jüdischen Überlieferungen wie die der Makkabäer zur Zeit römischer Tyrannei, die zur Einhaltung der Gesetze und zum »Lob des göttlichen Namens« Folter und Tod in Kauf nahmen. Der Auftritt der ›Heiligen Krieger‹ und die Verwandlung von Blutzeugen in Glaubenskämpfer verbindet sich mit der Entstehung des Islam und mit der Geschichte der Kreuzüge. Zur Popularität der Märtyrer haben aber vor allem die Erzählungen und Bilder ihrer Martern beigetragen: keine Märtyrer ohne Schauplatz und Zuschauer, ohne die Ausstellung des geschundenen Körpers und die Erzählung von Bekenntnis und Standhaftigkeit der Märtyrer sowie der Bekehrung durch sie. Die Märtyrer-Geschichte ist ein Produkt von ikonographischen, literarischen und medialen Inszenierungen. Dabei zeigen die Kontinuität und Variationsbreite von Märtyrer-Figuren nicht nur die religionskulturellen Zusammenhänge politischer Gewalt, sondern auch die Verbindungen und Differenzen zwischen den drei monotheistischen Religionen. Und sie schärfen den Blick für die verborgenen oder vergessenen, gleichwohl aber fortwirkenden Prägungen der Moderne durch Muster, die der Kultur sakraler Gewalt und geheiligter Opfer entstammen.