Die wilden Götter
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Wo kommt der Nebel her? Das weiß kein Mensch. Und wer hat den ersten Funken gezündet? Niemand weiß es. Eines aber steht fest: Am Anfang war die Kälte und das Feuer. Auf der einen Seite war da Niflheim; dort herrschten Nebel und Frost. Auf der ändern Seite war Muspilheim; und dort gab es nichts als ein Meer von zischenden Flammen. Was den Nebel vom Feuer trennte, war ein riesiger, bodenloser Schlund; und aus dieser gewaltigen Leere, dem Abgrund zwischen Licht und Dunkelheit, ist alles, was lebt, hervorgegangen, und das kam so. Irgendwo in Niflheim gab es eine Spalte im Eis, aus der ein mächtiges Wasser schoß. Dieser Strom schäumte auf den großen Schlund zu und stürzte sich hinein, Aber weil es kalt war, fror das Wasser zu großen Eiszapfen, und je länger das ging, desto mächtiger wurde das Eis auf der einen Seite des großen Schlundes. Aber da auf der anderen Seite, dort, wo Muspilheim lag, tanzten die Funken und die Flammen erwärmten die Luft. Tief im Schlund kämpften Hitze und Kälte miteinander, und das Eis fing an zu schmelzen. Was die Kälte geformt hatte, die Wärme erweckte es zum Leben. So entstand das erste Wesen. Es war von menschenähnlicher Gestalt, aber kein Mensch hatte solche Ausmaße. Denn Ymer, so hieß es, war ein Riese, und ein größerer Riese hat nie gelebt. Doch wovon sollte dieser Ymer leben? Von Feuer und Eis kann sich kein lebendiges Wesen ernähren. Als er sich umsah, merkte Ymer, daß er nicht allein auf der Welt war. Denn aus dem geschmolzenen Eis war noch ein anderes Ungeheuer hervorgegangen, das Hörner und Euter trug und von sanfter Natur war: eine riesige Kuh, aus deren gewaltigen Zitzen Ströme von Milch rannen. Wer anders als Ymer sollte sie melken? So waren sie beide zufrieden; die Kuh brauchte nicht mehr lange nach einem Abnehmer für ihren Überfluß zu suchen, und der Riese mußte nicht verhungern. Trotzdem, irgend etwas fehlte der ersten Kuh, die bei all ihrer Größe so wie alle ändern Kühe war, nur daß sie nicht wußte, wonach ihr der Sinn stand. Sie schnüffelte und probierte alles, was in der Nähe war, bis sie ein paar reifbeschlagene Steine fand, die nach Salz schmeckten. Davon konnte die Kuh, genau wie alle Kühe, die später auf die Welt kamen, gar nicht genug kriegen, bis sie an einen ganz besonderen Stein geriet. Als sie ihn mit ihrer riesigen Zunge ableckte, ahnte sie nicht, was sie damit angerichtet hatte. Noch am selben Abend nämlich wuchs aus dem Stein ein Haar hervor. Am ändern Tag kam ein Gesicht und dann ein ganzer Kopf zum Vorschein, und am dritten Tag der ganze Leib eines großen, schönen Mannes. So kam Bühre auf die Welt, der Stammvater aller Götter, die wir die Asen nennen. Doch unterdessen war auch Ymer, der erste Riese, nicht faul gewesen. Zwar schlief er viel, aber während er vor sich hin schnarchte, fing er an zu schwitzen, und aus seinen Achselhöhlen gingen zwei neue Wesen hervor, ein Mann und eine Frau. Auf dieses Wunder waren nun aber seine Füße eifersüchtig. Sie paarten sich miteinander und gebaren einen Sohn mit sechs Köpfen. So ist das Geschlecht der Riesen oder Trolle entstanden, und von da an gab es kein Halten mehr. Die neuen Geschöpfe bekamen Kinder, und ihre Kinder bekamen wieder Kinder, bis auf den heutigen Tag.