Diese Angst, die sie aus den Kellern heraustrieb, während oben der Sturm noch durch die Straßen brauste. Das Heulen niedergehender Bomben, das Krachen der Explosionen, das Zischen der Brände. Das Dröhnen der Geschütze, das sie erregte und der Schrecken, der sie erfaßt hat, als das Toben plötzlich nachließ und sie sich dieser ganzen entfesselten Hölle schutzlos preisgegeben sahen. Das alles müssen sie loswerden und sie sind ganz ausgefüllt von der Lust des Atmens und der Freude, daß sie noch leben. Und wenn die Luft, die sie in ihre Lungen saugen, auch heiß von tausend Feuern ist und Ruß und Asche ihnen in Mund und Augen fliegen, daß es wehe tut zu schmecken und zu sehen, sie spüren es nicht.
»Cäsar 9« hieß das Planquadrat auf den Karten britischer Kriegsbomber für Dortmund: Die Stadt wurde so schlimm vom Bombenkrieg getroffen, dass man nach Kriegsende erwog, sie woanders wieder aufzubauen. Erich Grisars Roman schildert die Erschütterung durch die Bombenangriffe, ohne zu verdrängen, dass ihre Ursache im kriegstreiberischen Naziregime lag. Die Erschütterung hält indes in der Nachkriegsgesellschaft weiter an. Der Roman erzählt von Tabus, von Morden an Zwangsarbeitern, von Hunger-Verbrechen und Karrieren einstiger Nazis in der Nachkriegsgesellschaft. Auch deshalb sollte es 70 Jahre dauern, bis der 1948 abgeschlossene Roman veröffentlicht wurde. Ein echter Fund
Der erste Roman Erich Grisars! Der Dortmunder Schriftsteller (1898–1955) war Lyriker, Romanautor, Journalist und Reiseschriftsteller. Sein vielfältiges Gesamtwerk umfasst den Arbeiterdichter der 1920er-Jahre ebenso wie den anekdotischen Humoristen der Nachkriegszeit
»Kindheit im Kohlenpott« betitelte der Arbeiterschriftsteller und Fotograf Erich Grisar (1898-1955) seine autobiografischen Erinnerungen an eine Jugend in Dortmund Anfang des 20. Jahrhunderts. Beschrieben wird, wie jemand in einfachsten Verhältnissen aufwuchs und dennoch den Mut nicht verlor. Die Botschaft lautete: Mögen die Lebensumstände auch noch so hart sein, wir machen das Beste daraus. Für die Darstellung seiner Kinder- und Jugendjahre fand Grisar einen adäquaten Ton. Seine liebevollen und leicht nostalgisch angehauchten Porträts aus der Dortmunder Arbeitersiedlung »Burgmunda« lassen zwar Anekdotisches und Humoristisches anklingen. Dennoch ist der Ton nirgends schwülstig, triefend oder klassenkämpferisch-doktrinär. Grisar erweist sich als ein sympathischer Erzähler, der es versteht, unterhaltsam zu plaudern, ohne sich in Nebensächlichkeiten zu verlieren. Man liest diese Episoden auch über 80 Jahre nach ihrer Niederschrift noch gern und oft mit einem Schmunzeln im Gesicht.
Der 1931 geschriebene Roman darf als eine der wichtigsten Entdeckungen des im Fritz-Hüser-Instituts (Dortmund) gelagerten Nachlasses Erich Grisar gewertet werden. Dass es nie zu einer Veröffentlichung des Romans kam, ist den ›ungünstigen‹ zeitgenössischen Umständen geschuldet: Grisars »Porträt einer Stadt« setzt sich nicht nur kritisch mit den gegenwärtigen Zuständen in der Stadt Dortmund, sondern ebenso mit den aufkommenden politischen, sozialen und ideologischen Umbrüchen auseinander. Die Vorabveröffentlichung eines Kapitels gelang ihm Anfang 1932 in der Illustrierten Beilage zum »Dortmunder General-Anzeiger«. An eine Publikation des Romans, der sich – wie die Lyrik Grisars der 1920er-Jahre – der Sorgen, Nöte und Partizipationsbemühungen der Arbeiterschaft annahm, war kurz vor der ›Machtergreifung‹ der Nationalsozialisten nicht mehr zu denken. »Ruhrstadt« liefert nicht nur ein präzises Porträt der Stadt Dortmund in den späten 1920er- und frühen 1930er-Jahre, der sozialen Konflikten innerhalb der Stadtgesellschaft, sondern erzählt auch von ganz alltäglichen Begebenheiten innerhalb der Arbeitersiedlung im Dortmunder Norden. Eingebunden sind diese Beschreibungen – hier zeigt sich der Journalist Erich Grisar ganz in seinem Element – in Erzählungen, welche die Auswirkungen der Weltwirtschafts- und Finanzkrise auf die Arbeiterschaft (Massenentlassungen, Lohnkürzungen) nachzeichnen. Der Roman entwirft so ein zeithistorisches – und zum Zeitpunkt seiner Entstehung hochaktuelles – Panorama der Stadt Dortmund und ihrer Bewohner. Fragen der Stadtgestaltung und des regionalhistorischen Selbstverständnisses sind dabei ebenso relevant wie die Positionierung der Arbeit gegenüber Avancen der zunehmend bei Bürgern und Industriellen an Zuspruch gewinnenden NSDAP. Mit »Ruhrstadt« gelang Erich Grisar 1931 ein Roman der unmittelbaren Gegenwart, der in seiner Kombination von dokumentarischem Realismus, erzählerischer Leichtigkeit und kritischer Zeitgenossenschaft durchaus als Roman des Ruhrgebiets gelten darf und neben den Büchern und Berichten von Heinrich Hauser, Erik Reger und Georg Schwarz einen eigenständigen Blick auf die Region wirft. Arnold Maxwill
Der Dortmunder Erich Grisar, bislang als Arbeiterschriftsteller bekannt, wird als Fotograf entdeckt. Zwischen 1928 und 1933 hat Grisar zahlreiche fotografische Serien zum Ruhrgebiet. Die Industrie, die Arbeit, die Menschen, die Härten des Alltags und die Kindheit waren die Themen, die Grisar besonders interessierten und die er einfühlsam dokumentierte. Der Katalog zur Ausstellung im Ruhr Museum auf Zollverein und im LWL-Industriemuseum Zeche Zollern präsentiert circa 200 Fotografien von Erich Grisar, die vor allem in seiner Heimatstadt entstanden sind. Die spektakulären, bisher unveröffentlichten Fotos zeigen eine Innensicht des Reviers der späten 1920er Jahre, den städtischen Alltag, die harte körperliche Arbeit und die Siedlungen mit den mächtigen Industrieanlagen im Hintergrund. Die genau beobachteten Szenen auf der Straße, insbesondere von spielenden und arbeitenden Kindern, sind die größte Entdeckung.
Erich Grisar, Schriftsteller und Bildreporter – 1932 erschien in der sozialdemokratischen Buchgemeinschaft Der Bücherkreis die Erstausgabe seines illustrierten Reisereportage-Bands „Mit Kamera und Schreibmaschine durch Europa“, gestaltet von Jan Tschichold, einem der bekanntesten Vertreter der Neuen Typographie des Bauhauses. Die (Wieder-)Entdeckung von Grisars fotografischem Nachlass ermöglichte die Neuausgabe dieser Reiseberichte. Ergänzt durch zahlreiche bislang unbekannte Fotografien dokumentieren sie Wohlstand und Armut, aber auch das ganz alltägliche Leben in Metropolen und an anderen denkwürdigen Orten Europas gegen Ende der 1920er Jahre.