Der armenische Fall
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Die Literatur darüber, was die Armenier einerseits den ersten Genozid des zwanzigsten Jahrhunderts nennen und was die meisten Türken andererseits als ein Ereignis von interkommunalem Krieg und Umsiedelung in Kriegszeiten bezeichnen, ist umfangreich und weltweit zerstritten. Die brisante Auseinandersetzung belastet die Beziehungen zwischen der Türkei und Armenien und erhöht die Spannungen in einer explosiven Region. Die aggressiven Mitglieder der armenischen Diaspora drängen auf die Anerkennung des armenischen Genozids durch ihre jeweiligen Parlamente und politisieren damit die historische Fragestellung. In diesem Streit ist nicht das Ausmaß des armenischen Leidens die Schlüsselfrage, sondern die Frage nach der Vorsätzlichkeit, ob die Jungtürken während des Ersten Weltkrieges mit Absicht die Massaker, die stattfanden, organisierten. Heute ist die Lage sehr polarisiert und von zwei sich klar unterscheidenden und starr eingehaltenen Geschichtsschreibungen gekennzeichnet. Die armenische Version behauptet, dass die Armenier die unschuldigen Opfer eines nicht provozierten Aktes an Genozid durch die osmanische Regierung waren. Eine große Zahl westlicher Wissenschaftler hat auch durch den Einfluss der armenischen Lobby diese Meinung ergriffen. Die türkische Version, die neben der Mehrheit der türkischstämmigen von einigen internationalen Historikern vorgebracht wird, argumentiert, dass die Massendeportationen der Armenier eine notwendige Antwort auf einen armenischen Aufstand in vollem Stil waren, die mit Unterstützung von Russland und Großbritannien durchgeführt wurden, und dass die große Zahl an Todesopfern – die sogenannten Massaker – als Folge von Hungersnöten und Krankheiten oder als Resultat eines Bürgerkrieges innerhalb eines Weltkriegs auftraten. Beide Seiten liefern Argumente, indem sie eine komplexe historische Wirklichkeit stark vereinfachen und wichtige Beweise ignorieren, die ein detaillierteres Bild ergeben würden. Dieses Buch unterwirft die reichlich vorhandenen historischen Beweise einem Übereinstimmungstest und versucht, die Gültigkeit der rivalisierenden Argumente auszusondern. Während der Arbeit an diesem Buch hatte der Verfasser manchmal das Gefühl, ein Detektiv zu sein, der an einem ungelösten Fall kaut. Hinweise auf die Täter von grauenvollen Massakern lagen in verstaubten alten Büchern und Protokollen. Schließlich und endlich bemühte der Verfasser sich, nicht in Probleme von Definitionen und Nomenklatur verwickelt zu werden, wie im Falle des Terminus 'Genozid'. Daher hat er sich darauf konzentriert, was ihm als weitaus wichtigere Aufgabe erscheint, nämlich zu klären, was geschah, wie es geschah und warum es geschah. Diesen Ereignissen eine geeignete Bezeichnung zu geben ist als Thema für die fortlaufende Polemik zwischen Türken und Armeniern von Bedeutung.