Torheit und Liebe
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Mehr als ein schmales Bändchen, erschienen im Jahr 1555, hat die »schöne Seilerin« aus Lyon nicht hinterlassen. Und doch werden die Werke der Louise Labé in Frankreich bis heute immer wieder aufgelegt. Ihre Sonette gehören zu den schönsten Gedichten in französischer Sprache. Aber auch die Elegien und der feministisch anmutende Widmungsbrief sind ein frühes Zeugnis aufklärerischen und emanzipatorischen Denkens und Schreibens, das um das menschlichste Thema überhaupt kreist, die Liebe. Wie schockierend frei ihr Umgang mit dem Geschlechterverhältnis auf manche Zeitgenossen wirkte, wird vielleicht in Calvins Verdikt deutlich, der Louise Labé als plebeia meretrix bezeichnete, als »ordinäre Hure«. Nach fast 500 Jahren liegt Louise Labés Gesamtwerk in dieser zweisprachigen Werkausgabe erstmals vollständig in deutscher Sprache vor, einschließlich des zuvor noch nie übertragenen Streitgesprächs zwischen Folie und Amor. Dieser Disput, den sie in der antiken Mythologie spielen lässt, stellt die vermeintlichen Antipoden Torheit und Liebe als ein letztlich unzertrennliches Paar vor. Der Text zeugt von einer für das 16. Jahrhundert ungewöhnlich gebildeten Autorin, die ihr Thema souverän und mit feinem Gespür für die frühneuzeitliche Rhetorik abhandelt. Gleichzeitig zeichnet Louise Labé damit ein lebhaftes Bild ihrer Zeit und der Rolle der Frau darin. Monika Fahrenbach-Wachendorff hat die lyrischen Teile ebenso wie die Prosatexte aus dem Mittelfranzösischen in eine heute lesbare Sprache übertragen, die gleichwohl den hohen Ton der frühen Neuzeit spiegelt.